6. Lädierte Trauer

Andererseits war der Siegeszug der Galvanoplastiken nicht von langer Dauer. Nach 1900 wurden sie zur Zielscheibe eines kulturkritischen Diskurses, der zu den allgemeinen Reformbewegungen in der Zeit um den Ersten Weltkrieg gehörte (die ihrerseits Ausdruck der grundlegenden gesellschaftlich-kulturellen Veränderungen im Zeitalter der Hochindustrialisierung waren [32] ). Mit pädagogischem Impetus geführt, wurde er unter dem Stichwort „Friedhofs- und Grabmalreform“ bekannt und läutete eine Zäsur in der Friedhofs- und Grabmalästhetik in Deutschland ein. Dieser Diskurs äußerte sich als Kritik an der als ausufernd-stillos, ja „anarchisch“ empfundenen Grabmalkultur der Jahrhundertwende – nicht zuletzt an den Galvanoplastiken, die nun als „sentimentaler Kitsch“ in Verruf gerieten. [33]

Die Friedhofs- und Grabmalreform löste die historistische Vielfalt der Grabmallandschaft durch eine weitgehende Uniformierung ab. In der Zeit der Weimarer Republik unterwarf man die Begräbnisplätze der Reißbrett-Rationalität moderner Stadtplanung. Aufgrund strenger Gestaltungsvorschriften wurden die neuen Grabmäler in Höhe und Breite zentimetergenau reglementiert. Damit schwand auch die Möglichkeit, den sepulkralen Raum vielfältig-verspielt zu ornamentieren und ihn als Spielwiese geschlechtsspezifischer Phantasien und Projektionen neu zu erschaffen. Im Übrigen – dies sei hier nur angedeutet – schuf der grundlegende Wandel von Gesellschaft, Kultur und Öffentlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg natürlich auch neue Rahmenbedingungen für die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Gleichwohl blieben nicht wenige der „Trauernden“ auf den alten Grabstätten erhalten. Manchmal nun leicht lädiert, zeugen sie bis heute von der doppelbödigen Gefühlswelt eines längst vergangenen Zeitalters ... .



Quellen

[32] Als Überblick: Corona Hepp, Avantgarde. Moderne Kunst, Kulturkritik und Reformbewegungen nach der Jahrhundertwende, München 1992 (2. Aufl.).

[33] Zur Geschichte und gesellschaftlichen Bedeutung der Friedhofsreformbewegung siehe Fischer, Friedhöfe (wie Anm. 5), S. 75 – 93.