Mikrolandschaft und Metropolregion: Über den räumlichen Wandel im Hamburger Umland 1950-2000
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg, 2007)

1. Räume in Bewegung

Die Beziehungen zwischen Stadt und Umland haben sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt. Die bisherige Hierarchie, die dem Leitbild der alten Stadt europäischen Typs ein entwicklungsmäßig zurückgebliebenes ländliches Umland entgegenstellte, hat an Bedeutung verloren. Stadt und Umland vermischen sich zunehmend, wie leitbildhaft in der Metropolregion Hamburg zu beobachten ist. Dabei erweisen sich bisher gebräuchliche Charakterisierungen des Umlandes, wie "suburban", zu Beginn des 21. Jahrhunderts als überholt. Vielmehr kommen neue Konzepte ins Spiel, um das Patchwork von City-Center, Wohnsilo und Reetdach, von Verkehrsknoten, Gewerbegebiet und Naturbiotop kategorial zu erfassen. Unter ihnen stellt Thomas Sieverts "Zwischenstadt" den geläufigsten Ansatz dar, seit er 1997 in die öffentliche Diskussion eingeführt worden ist. Mittlerweile ist der Begriff "Zwischenstadt" nicht nur in den deutschen, sondern - wörtlich oder sinngemäß - auch in den französischen ("Entre Ville") und englischen ("Cities without Cities") Sprachgebrauch eingegangen. Weitere gebräuchliche Termini zur Erfassung dieser räumlichen Veränderungen sind "Post-Suburbia", "urbaner Verflechtungsraum", "Stadtregion", "urbane Landschaft", "regionale Stadtlandschaft" oder "urbane Peripherie".

Wie auch immer die Begriffe lauten, sie verdeutlichen in jedem Fall einen Paradigmenwechsel und bezeugen zugleich die Aktualität des zugrunde liegenden Phänomens. (Groß-) Stadt und Region werden nicht mehr - jedenfalls nicht mehr in erster Linie - in einseitiger Hierarchie, sondern in ihren wechselseitigen, mehr oder weniger austarierten Beziehungen betrachtet. Daher gewinnt die neu definierte Region jenseits der klassischen alten Stadt zunehmend an gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Eigengewicht.

Diese räumlichen Wandlungsprozesse haben auch die Semantik von Raum und Landschaft beeinflusst. Der klassische bürgerliche Landschaftsbegriff basiert bekanntlich auf dem Konstrukt eines ästhetisierten, "schönen" Raumes, dessen Wahrnehmung aus einer - nicht zuletzt von der Landschaftsmalerei geprägten - Idealisierung der Natur hervorging. Um 1800 erweiterte sich der Begriff dann zur Bezeichnung ländlicher Gegenden, wobei die ursprüngliche Bedeutung insofern einfloss, als hier der romantische Blick des Stadtbürgers auf einen idealerweise als unverfälscht-"rural" empfundenem Raum zu Grunde lag. Diese traditionelle Trennung zwischen Stadt und Land jedoch, so vermerkte jüngst der Landschaftsarchitekt Christophe Girot, existiert nicht mehr. Vielmehr sind deren bisherige Grenzen "räumlich und soziologisch diffus" geworden.

Dieser Wandel wird von neueren landschaftstheoretischen Konzepten aufgegriffen. Sie basieren auf Vorstellungen, die die Partikularisierung und Dynamisierung der Räume zu Grunde legen. Für das Beispiel der Metropolregion Hamburg erweist sich dabei der jüngst entwickelte Ansatz der "Mikrolandschaften" als besonders fruchtbar zur Beschreibung der neuen räumlichen Strukturen. Dies gilt nicht nur, weil er hierarchiefreie "Zwischen-Terrains" zueinander in Beziehung setzt, sondern auch, weil der Ansatz eine der Grundvoraussetzungen der neuartigen Stadt-Land-Beziehungen einbezieht: die rasch wachsende Mobilität: "Beschleunigung und weltweite Mobilität haben die Landschaft nicht zum Verschwinden gebracht. Doch veränderte Bewegungspraktiken führen zu neuen Landschaftskonzepten. ... Die zeitgenössische Ausdrucksform der Landschaft verstehen wir als eine Agglomeration von Zwischenräumen, die wir als Mikrolandschaften bezeichnen. Mit einem überkommenen Begriff von "Landschaft" und deren "Schönheit" verbindet sie nur noch wenig."

Durch die seit den 1960er-Jahren stark zunehmende Mobilisierung und den damit verbundenen Verkehrsströmen ist es zu einer "Verflüssigung" des Raumes gekommen. In der Folge entstand ein patchworkartiger Teppich von Klein- und Kleinstlandschaften. Diese Mikrolandschaften bilden Räume, die zunächst wie Fremdkörper in ihrer Umgebung wirken, im Laufe der Zeit aber von dieser adaptiert bzw. verändert werden und damit eine neuartige Dynamik des Raumes erzeugen. Sie sind als "Agglomerationen verschiedenster, in Bewegung erfahrener Zustände von Umwelt" zu betrachten, die den agierenden Menschen mit einschließen und deren Patchwork als gesellschaftlich-kulturelles Konstrukt betrachtet und analysiert werden kann.

Die neuformierten Räume in der Metropolregion Hamburg repräsentieren geradezu paradigmatisch solche Mikrolandschaften. Dies soll im Folgenden zunächst anhand einzelner Fallstudien aus dem schleswig-holsteinischen Kreis Stormarn beschrieben und erläutert werden. Anschließend werden diese Entwicklungen - an weiteren Beispielen, unter anderem der "Maritimen Landschaft Unterelbe" - in den Kontext des seit Mitte der 1990er-Jahre wirksamen Konzeptes der Metropolregion Hamburg eingeordnet, bevor sie schließlich unter Aspekten wie räumlich gebundener Identität und Ästhetik diskutiert werden.

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