Mikrolandschaft und Metropolregion: Über den räumlichen Wandel im Hamburger Umland 1950-2000
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg, 2007)

4. Mikrolandschaft und Metropolregion

Damit ist bereits angedeutet, dass diese Tendenzen von der Metropolregion Hamburg unterstützt und verstärkt, vor allem aber grenzüberschreitend vereinheitlicht wurden. Die Metropolregion vereint Formen raumplanerischer Zusammenarbeit unter einem Dach und hat neue Formen netzwerkartig gestalteter Groß-Infrastrukturen geschaffen. Neben Förderung von Wirtschaft und Verkehr sind es gerade die Naherholungs- und Freizeiträume, die zu den Schwerpunkten der Metropolregion Hamburg gehören und die Konfektionierung der Mikrolandschaften weiter vorantreibt. Diese Konfektionierung ist letztlich, so lautet die hier vertretene These, das Ergebnis eines frühzeitig einsetzenden raumplanerischen Zugriffs, der historisch bis ins frühe 20. Jahrhundert zurückreicht, bevor er gegenwärtig in der Metropolregion eine neue Qualität erreicht hat.

Was zuvor im Kleinen - etwa durch den Verein Naherholung im Umland Hamburg e.V. - geschah, wird jetzt großmaßstäblich in Form gezielten Regionalmarketings unter einheitlichem Logo praktiziert. Eines der anschaulichsten und bedeutsamsten Beispiele für die Konfektionierung der Mikrolandschaften im Hamburger Umland ist das so genannte Leitprojekt "Maritime Landschaft Unterelbe". Dieses grenzüberschreitende Projekt berührt mit Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen drei Bundesländer und mehrere Landkreise. Unterschiedliche Teilelemente einer grenzüberschreitenden Landschaft wurden einheitlich klassifiziert, beschildert und netzwerkartig miteinander verbunden. Unter dem Label des Maritimen entstanden unter anderem konfektionierte Wegweiser, Erläuterungstafeln, touristische Routen zu Technikdenkmälern und architektonischen Ensembles sowie Natur- und Landschaftsarealen entlang der unteren Elbe - einheitlich dokumentiert in Printmedien (Flyern) und einer Website. Auch Inventarisationsmaßnahmen zu maritimen Technikdenkmälern wurden gefördert.

Die raumauflösende Wirkung des Metropolregion-Konzeptes zeigt sich besonders auf dem Verkehrssektor. Die Ausdehnung des Hamburger Verkehrs-Verbundes (HVV) auf die gesamte Fläche von mehreren Umlandkreisen in Schleswig-Holstein (2002) und Niedersachsen (2005) war einer jener Schritte, deren Auswirkungen für die Bevölkerung besonders spürbar war. Räume gerieten dadurch stärker als zuvor in Bewegung. Auf symbolischer Ebene verkörpert die so genannte "metropolcard" dieses Konzept - eine Jahreskarte für einen großen Teil der Metropolregion, die verbilligten Eintritt in rund 140 Freizeiteinrichtungen sowie begrenzte Möglichkeiten zur kostenlosen Fahrt im Öffentlichen Personennahverkehr bietet. Es wird weiter unten im Schlussabschnitt noch zu thematisieren sein, welche Auswirkungen solche raumerweiternden- bzw. auflösenden Faktoren auf Formen räumlich gebundener Identität haben.

Das inzwischen mehrfach kopierte Konzept der Metropolregion Hamburg entstand ursprünglich im Kontext der ökonomisch motivierten europäischen Konkurrenz um Wirtschaftsansiedlungen. Speziell im Hamburger Raum ist es der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die in besonderem Maß die Landschaft dem raumplanerischen Zugriff unterworfen hat. Es umfasst derzeit die Freie und Hansestadt Hamburg sowie die niedersächsischen Landkreise Cuxhaven, Harburg, Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Rotenburg/W., Soltau-Fallingbostel, Stade, Uelzen und die schleswig-holsteinischen Kreise Dithmarschen (mit "Wirtschaftsraum Brunsbüttel"), Herzogtum Lauenburg, Pinneberg, Segeberg, Steinburg, Stormarn. Das Gesamtgebilde umfasst eine Fläche von 18.000 km² und erstreckt sich über 14 Landkreise mit rund 800 Kommunen. Von den insgesamt ca. vier Millionen Menschen entfallen 42% auf der Fläche der Hansestadt Hamburg, 30% auf Niedersachsen und 27% auf die schleswig-holsteinischen Landkreise.

Grundlage der planerischen Zusammenarbeit in der Metropolregion ist das so genannte Regionale Entwicklungskonzept (REK): zunächst das erste REK von 1994, anschließend das REK 2000. Die Zusammenarbeit zwischen Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein zielt darauf, die Länderverantwortlichkeiten und Zuständigkeiten zu überwinden und sinnvolle Entwicklungsplanung im gesamten Raum zu ermöglichen. Damit soll eine sinnvolle Verbindung von regionaler Raumordnungspolitik und regionaler Strukturpolitik geschaffen werden und Interessen gegenüber der Bundesregierung und anderen gemeinsam wahragenommen werden. Mit komplexen, kooperativen Verwaltungs- und Entscheidungshierarchien soll die räumliche, wirtschaftliche und nicht zuletzt verkehrstechnische Entwicklung im Großraum Hamburg aufeinander abgestimmt werden. Im Zentrum der Zusammenarbeit stehen strukturpolitisch-raumplanerische Aspekte wie Siedlungsentwicklung, Tourismus, Wirtschaft und Verkehr.

Dabei sind planerische Bestrebungen in Ballungsräumen - auch für den Großraum Hamburg - keineswegs etwas Neues. Aus heutiger Sicht modern etwa mutet an, was der mit den Strukturen des Hamburger Umlandes und insbesondere des Kreises Stormarn vertraute Städteplaner Werner Gensel Ende der 1920-er Jahre über die künftige Entwicklung des damals zu Stormarn gehörenden Alstertales schrieb. Gensel betonte insbesondere die normative Funktion zentral gesteuerter Bebauungspläne: "Außer der aufmerksamen Betreuung der wertvollsten Alsterländereien unmittelbar am Wasser werden alle Vorhaben des privaten Unternehmertums, wie Geländeerschließungen, Parzellierungen, Anlage neuer Straßen und Wege, neuer Wohn- und Erholungsstätten, neuer Gewerbebetriebe usw. an anderen Stellen der Altergemeinden im Rahmen der entstehenden Bebauungspläne richtigen Lösungen zugeführt. - Sie bedürfen der Ergänzung durch Ortsstatute - Wesentlich ferner ist ferner, daß eine zentrale Stelle vorhanden ist, die den Einfluß auf die Dinge behält und die imstande ist, alle Fäden zu einem organischen Ganzen zu verknüpfen. Hierin verkörpert sich die moderne Auffassung der städtebaulichen Arbeit."

Gerade im Großraum Hamburg hatten sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts großangelegte raumplanerische Konzepte gezeigt. Das mit Abstand bekannteste und bis heute wirksame Beispiel ist das auf den früheren Hamburger (Ober-) Stadtbaurat Fritz Schumacher zurückgehende Achsenkonzept aus der Zeit um den Ersten Weltkrieg. Erste konkrete Schritte zu gemeinsamen Planungsverbünden in Deutschland fanden sich fast zeitgleich, jedoch anderen Orts: mit der Gründung des Zweckverbandes Groß-Berlin (1912) bzw. später der Einheitsgemeinde Groß-Berlin (1920) sowie des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk (ebenfalls 1920). Weitere Planungsverbände, etwa im mitteldeutschen Industriegebiet, folgten. Der Ende der 1920-er Jahre gegründete hamburgisch-preußische Planungsverbund für den Großraum Hamburg blieb ohne erkennbare Folgewirkungen, stattdessen zeigte sich das dann 1937/38 verordnete Groß-Hamburg-Gesetz als einseitige, im Kontext der NS-Diktatur zugunsten Hamburgs vollzogene Maßnahme der Gebietsaneignung. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es dann - neben der 1952 gegründeten Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Rhein-Neckar GmbH - wieder der Großraum Hamburg, der raumplanerische Pionierarbeit leistete, und zwar in Form der bilateralen Gemeinsamen Landesplanungen Hamburg/Schleswig-Holstein (1955) und Hamburg/Niedersachsen (1957). Erster stadtregionaler Planungsverbnd nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der 1963 gegründete Verband Großraum Hannover, eine vergleichbare Einrichtung für Kiel folgte. Wie im Großraum Hamburg, so wurden auch durch die Zusammenarbeit von Bremen und Niedersachsen (1963) und im Raumordnungsverband Rhein-Neckar (1970) Ländergrenzen überwunden. Weitere Stationen der Raumplanungsgeschichte in Ballungs- bzw. Verdichtungsräumen bildeten der Umlandverband Frankfurt/M. (1975) und der Raum Saarbrücken. Ältere organisatorische Strukturen, wie im Ruhrgebiet und im Großraum Hannover, wurden teils mehrfach modifiziert. Aus Letzterem entstand 2001 das bundesweit vielbeachtete Projekt der "Region Hannover" als neue regionale Gebietskörperschaft mit eigenem Parlament.

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