Vom Nachkriegselend zur Metropolregion:
Der Kreis Stormarn 1945-2004
Vortrag Norbert Fischer, Bad Oldesloe, 30. Okt. 2005
Am 22. Oktober 1945, also fünfeinhalb Monate nach Ende des Zweiten Weltkrieges, wandte sich der damalige Stormarner Landrat Paasche mit einem dramatischen Appell an die Stormarner Bevölkerung: "Wir gehen einem der schwersten Winter der ganzen deutschen Geschichte entgegen. ... Jeder, ob Eingesessener, ob Flüchtling, muß sich jetzt einschränken und das Letzte, was er hat, dem geben, der es braucht, um durch den Winter zu kommen. Es wird nicht immer möglich sein, Ehepaaren ein eigenes Schlafzimmer zu belassen. Wohnräume werden nur als gemeinschaftliche Aufenthalts- und Wärmeräume für größere Hausgemeinschaften gestattet werden, und nur dann, wenn gleichzeitig die Schlafräume noch enger als 3,7 Quadratmeter pro Person belegt werden."
Heute dagegen zählt Stormarn zu den wohlhabendsten und wirtschaftsstärksten Landkreisen Norddeutschlands, ja der ganzen Republik - eine erstaunliche Entwicklung. Lassen Sie mich einige Schlaglichter auf den Weg werfen, den Stormarn zwischen 1945 und heute ging.
Stärker als andere Kreise mußte Stormarn nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer neuen Identität finden. Das Groß-Hamburg-Gesetz von 1937/38 hatte dem Landkreis mit Wandsbek nicht nur seine "Hauptstadt" genommen, sondern darüber hinaus noch weitere, wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig bedeutende Gebiete im Randgebiet zum anscheinend übermächtigen Hamburg: Billstedt, Lohbrügge-Sande, Rahlstedt u.a.
Doch damit nicht genug: In den letzten Kriegsjahren waren unzählige Hamburger vor den Bomben nach Stormarn geflüchtet - "Buten-Hamborger" nannte man sie. In den ersten Nachkriegsjahren wurde Stormarn erst recht zur Flüchtlings-Hochburg in Deutschland. Kein Landkreis mußte mehr Flüchtlinge aufnehmen - auf zehn Einheimische kamen zwölf Flüchtlinge. Das verschärfte die damals ohnehin herrschende Not noch weiter. Zuzug und Neuansiedelung sollten weit über die erste Nachkriegszeit hinaus die Probleme des Kreises bestimmen. Immerhin: Die Bevölkerungsverluste der Vorkriegszeit wurden mehr als ausgeglichen ...
Aus dem Zwang, der Not zu begegnen, entwickelte Stormarn bald ein ganz eigenes, neues Profil: Bad Oldesloe wurde 1949 zur neuen Kreisstadt gekürt, das Stormarnhaus errichtet und Politik und Verwaltung nach britischem Vorbild neu geordnet. Die britische Militärregierung bestand kommunalrechtlich auf der in Großbritannien üblichen Zweigleisigkeit von politischer (ehrenamtlicher) und verwaltungsmäßiger (professioneller) Spitze - während die preußisch-deutsche Tradition den hauptamtlichen Landrat kannte, der beides in einer Person vereinte. Nun wurde aus dem bisherigen Kreistagspräsidenten der ehrenamtliche Landrat und ergänzend das Amt eines professionellen leitenden Verwaltungsbeamten geschaffen, der den Titel "Oberkreisdirektor" erhielt. Für die Stellung des Landrates brachten diese Veränderungen eine nicht unerhebliche Minderung des Einflusses (inzwischen haben sich die Verhältnisse ja wieder geändert und der heutige Landrat repräsentiert politische und administrative Führung in einer Person).
Politik besteht aber auch aus Persönlichkeiten, und hier waren Stormarns Frauen damals ihrer Zeit weit voraus: Mit Frieda David wirkte die erste Gemeindedirektorin der gesamten britischen Besatzungszone in Rehhorst, und 1949 nahm mit Erika Keck die erste im Bürgermeisteramt amtierende Frau in Deutschland für Ahrensburg die Stadtrechte entgegen - später wurde Erika Keck übrigens Stormarns Kreispräsidentin.