Trauernde Berlin Dorotheenstädtischer


Vortrag 16. November 2006 Bünde/Westerenger

1. Der Tod einer Prinzessin

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet sich die Bestattungskultur in einem grundlegenden Umbruch. Die Orte von Tod und Trauer wandeln sich. Friedhöfe und Grabstätten, die seit Jahrhunderten in Europa ein vertrauter Schauplatz von Bestattung, Trauer und Erinnerung gewesen sind, erscheinen in ihrem tradierten Erscheinungsbild als "unzeitgemäß". i Steigt auf der einen Seite die Zahl anonymer Rasengräber stetig an, so entfaltet sich zugleich seit einigen Jahren eine bisher ungekannte Vielfalt an neuen Formen von Bestattung, Trauer und Erinnerung. Einige Stichwörter vorab: Die Baumbestattung im "Friedwald", tragbare Aschenreste in Amuletts oder Aschen-Diamanten, soziale Identität stiftende Gemeinschaftsgrabanlagen ("Garten der Frauen", Begräbnisplatz für Fußballverein-Fans), Kreuze am Straßenrand, digitale Gedenkseiten im Internet oder gar Weltraumbestattungen. All diesen Phänomenen ist gemeinsam, dass sie sich als sepulkrale Muster veränderter gesellschaftlich-kultureller Lebenswelten präsentieren.ii

Auch der Umgang mit dem Tod unterliegt also jenen allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Wandlungsprozessen, von dem das postindustrielle Zeitalter gekennzeichnet ist. Sie haben in vielen Bereichen Denk- und Verhaltensmuster aufgelöst, die sich über Jahrzehnte hinweg eingeschliffen hatten. Soziologen stellen eine durchgreifende Partikularisierung der Lebenswelten fest.iii Die neuen gesellschaftlichen Entwicklungen tendieren hin zu mehr Individualität, Flexibilität, Pluralität und Mobilität, zu einer Vielfalt der Lebensstile und zu zivilem gesellschaftlichen Engagement, neben und abseits vom Staat und seinen Institutionen, aber auch jenseits der jahrzehntelang eingespielten funktionalen Routine. Für die Friedhofskultur von grundlegender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Bedeutung "fester Orte" abnimmt, wie sie im bürgerlichen Zeitalter par excellence von den Grabdenkmälern repräsentiert worden sind. Auch die Sepulkralkultur wird also von der "Exterritorialisierung moderner Gesellschaften" (Helmut Willke)iv erfaßt.

Der Tod, so scheint es zu Beginn des neuen Jahrtausends, wird allmählich wieder zu einem öffentlichen Ereignis. Dies wurde im globalen Maßstab - so befremdlich es zunächst klingen mag - vielleicht durch nichts deutlicher als durch die vor einigen Jahren medienwirksam inszenierte Trauer um die tödlich verunglückte Prinzessin Diana im Herbst 1997. Damals hatte jene emotionale Leere, die aus der herrschenden Routine im Umgang mit dem Tod resultierte, eine Kompensation gefunden. Das Maß an Aufmerksamkeit, das diesem Todesfall gewidmet wurde, zeigt, daß es nur eines Ventils bedurfte, um den in der allgemeinen Bestattungsroutine fast erstickten Gefühlen neuen Ausdruck zu verleihen. So sollten wir den Kult um den Tod der Prinzessin, auch wenn er uns manchmal "kitschig" erschien, vor allem als Hinweis auf ein Bedürfnis nach offener, vorzeigbarer Trauer verstehen. Dieses Bedürfnis sucht sich neuerdings immer häufiger seinen individuellen Ausdruck.