- 1. Der Tod einer Prinzessin
- 2. Ein Blick zurück in die Moderne
- 3. "Bestattungsritual im Übergang"
- 4. Beispiele aus Europa und Japan
- 5. Neuer Umgang mit Verstorbenen -
neue Orte von Trauer und Erinnerung - 6. Der Wandel der Friedhöfe
- 7. Perspektiven eines humanen Umgangs mit Sterben und Tod
Vortrag 16. November 2006 Bünde/Westerenger
6. Der Wandel der Friedhöfe
Wie die Bestattungskultur im allgemeinen, so befindet sich die Friedhofskultur im besonderen zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem grundlegenden Umbruch. Friedhöfe und Grabstätten, wie sie seit Jahrhunderten der vertraute Schauplatz von Bestattung, Trauer und Erinnerung gewesen sind, verändern ihr Erscheinungsbild. Sie zeigen sich als sepulkrale Muster veränderter gesellschaftlicher Lebenswelten.
Dieser Prozess setzte bereits vor mehreren Jahrzehnten ein. Vor allem ist die "Miniaturisierung der Grabstätten" (H. Weber) vorangeschritten. Familiengrabstätten finden immer weniger Interesse, und die teils monumentalen Familiengräber des bürgerlichen 19. Jahrhunderts haben häufig nurmehr kulturhistorischen Wert. Mit dem Bedeutungsverlust der klassisch-bürgerlichen Familie und der Zunahme von Single- und Zweier-Haushalten einerseits, der zunehmenden beruflichen Mobilität andererseits haben sich auch die Bestattungsgewohnheiten geändert: die Grabstätten wurden kleiner und kleiner. Feuerbestattung und Aschenbeisetzung taten das Ihre, um den Platzbedarf auf Friedhöfen einzuschränken. Hier ist insbesondere die anonyme oder Rasenbeisetzung zu nennen, die sich vor allem in den mehrheitlich protestantischen Städten Nord- und Ostdeutschlands immer größerer Beliebtheit erfreut. In ihrer extremen Ausprägung ohne jegliche Namens- bzw. Gedächtnistafeln führt sie zur Auflösung jeglicher Form individueller Erinnerung. Bisweilen jedoch erinnert ein Gemeinschaftsdenkmal an die Namen der hier Bestatteten.
Aber auf der anderen Seite werden neue Formen der Beisetzungskultur kreiert - manchmal im Rückgriff auf alte, fast in Vergessenheit geratene Muster. Ein Beispiel ist das Wiederaufgreifen der Tradition genossenschaftlicher und Gemeinschaftgrabstätten. Diese können an einer besonderen Blumensprache orientiert sein: Zum Beispiel eine durch Rosenbepflanzung hervorgehobene Grabstätte. In weiteren Fällen dienen sie bestimmten sozialen Gruppen ("Garten der Frauen"). Aus anderen Ländern sind - wie wir bereits sahen - mittlerweile Gemeinschaftsgrabstätten für die Anhänger bestimmter Fußballvereine bekannt.
Unter einem gänzlich anderem Vorzeichen - aber dennoch bedeutsam für die Friedhofskultur der Gegenwart und Zukunft - sind jene Denk- und Erinnerungsmäler, wie sie mittlerweile auf vielen Begräbnisplätzen für totgeborene Kinder aufgestellt wurden. Diese Anlagen, die häufig in Zusammenarbeit mit lokalen Krankenhäusern entstanden, sind zu besonderen, öffentlichen Orten der Trauer und Erinnerung auf Friedhöfen geworden.
Auch die Aschenbeisetzung hat ihr Entwicklungspotential noch nicht ausgeschöpft - und auch hier werden bisweilen alte Traditionen wiederbelebt, wie die Beisetzung im Kolumbarium. Aschestreuflächen auf Friedhöfe werden manchmal wie kunstvolle Landschaften modelliert. Überhaupt könnten, so sieht es derzeit aus, Natur und Landschaft künftig wieder - wie schon im 19. Jahrhundert - eine größere Rolle bei der Friedhofsgestaltung spielen. Die Zeit der reißbrettartig gestalteten Friedhofsareale, die auf die Friedhofsreform des frühen 20. Jahrhunderts zurückgeht, scheint sich dem Ende zuzuneigen. Die Friedhofsfläche wird stärker als bisher diversifiziert.
Jenseits aller räumlicher Grenzen ist seit Anfang der 1990er-Jahre eine völlig neue Variante von Trauer und Gedächtnis entstanden: der so genannte "virtuelle Friedhof" des Internet. Hier nur einige Stichwörter, da dieser Themenkomplex von einem Experten, Herrn Geser, noch ausführlich behandelt wird: Manche der virtuellen Grabmäler umfassen seitenlange Lebensgeschichten mit Fotos, bewegten Bildern oder Klangdokumente. Per mail können elektronische Botschaften hinterlassen werden. Während sich das virtuelle Gedenken im "normalen" Umgang mit den Verstorbenen aber noch nicht - und erst recht nicht kommerziell - durchsetzen konnte, erfreuen sich virtuelle Tierfriedhöfe größerer Beliebtheit.
Vielleicht ist es gerade der fundamentale Wandel der Bestattungs- und Erinnerungskultur, der die Friedhöfe als Ort von Tod und Trauer zu Beginn des 21. Jahrhunderts wieder in den Mittelpunkt des öffentlichen - nicht zuletzt medialen - Interesses gerückt hat. Das Interesse an historischer Sepulkralkultur ist rege: Vielerorts bemühen sich Vereinigungen um den Erhalt alter Friedhöfe und Grabdenkmäler, ein Ende der "Musealisierung" ist noch nicht in Sicht - noch immer werden gern "Patenschaften" zu Gunsten des Schutzes und Erhaltes historischer Grabmäler vergeben. Die Musealisierung des Friedhofs hat also begonnen. Dabei sieht sich das Publikum nicht selten sepulkralen Ruinen gegenüber, deren bröckelnder Stein vom Ende einer ganzen Epoche kündet. Gerade die drohende Verflüchtigung traditioneller Gedächtniskultur verleiht den alten städtischen Friedhöfen zum Ausgang des 20. Jahrhunderts ihre starke, romantisch getönte Faszination. Mit ihnen wird ein Zeitalter besichtigt, das noch nicht ganz vergangen ist und dessen Erbe in vielen von uns noch immer lebt.
Unter diesen Vorzeichen wird die Zukunft der Friedhöfe - und in diesem Zusammenhang übrigens auch ihre Kulturgeschichte - europaweit immer stärker thematisiert. Institutionellen Ausdruck findet dieses neuerwachte Interesse in der vor wenigen Jahren gegründeten und in Bologna ansässigen "Association of Significant Cemeteries in Europe" (ASCE). Gerade die Umgestaltung der großen alten städtischen Friedhöfe bietet möglicherweise praktisches Anschauungsmaterial für den Friedhof der Zukunft. Denkbar wäre ein Konzept, wie es vor einigen Jahren für den Assistens-Friedhof in Kopenhagen entwickelt wurde. Es sieht die Diversifikation der rund 20 Hektar Fläche in vier unterschiedliche Bereiche vor: in einen Museumsbereich mit historischen Grabstätten aus dem ältesten Teil des Friedhofs, einen "Erinnerungspark" (der zugleich der Erholung und der kulturhistorischen Anschauung dient), einer Fläche für aktuelle Belegungen und schließlich einer Parkfläche ausschließlich für Zwecke der Erholung und Freizeit. Dieses Konzept wäre ein Beispiel, das in praktischer Weise zeigt, wie der Tod seinen Platz wieder inmitten der Lebenden finden kann...
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