- 1. Der Tod einer Prinzessin
- 2. Ein Blick zurück in die Moderne
- 3. "Bestattungsritual im Übergang"
- 4. Beispiele aus Europa und Japan
- 5. Neuer Umgang mit Verstorbenen -
neue Orte von Trauer und Erinnerung - 6. Der Wandel der Friedhöfe
- 7. Perspektiven eines humanen Umgangs mit Sterben und Tod
Vortrag 16. November 2006 Bünde/Westerenger
2. Ein Blick zurück in die Moderne
Wie sah der Umgang mit dem Tod vorher aus?
kurzer Rückblick an Hand des Bildmaterials: Sterben zu Hause, Leichenzug, Kirchhof, Auslagerung der Friedhöfe, Feuerbestattung und Krematoriumsbau, Kriegstod
Im Verlauf der modernen bürgerlichen Gesellschaft, also seit dem 18. Jahrhundert, wurden die Abläufe bei Tod und Bestattung immer mehr in funktionale Einzelelemente zerlegt. Sie schienen dadurch auch kontrollierbarer - die bürokratischen Vorschriften im Bestattungswesen sind hier nur eines von vielen Beispielen. Der Soziologe Klaus Feldmann schrieb in seiner 1990 erschienenen Studie über "Tod und Gesellschaft", dass diese Kontrolle des Todes Ergebnis der modernen Rationalisierungsprozesse ist: "Der zentrale objektive Unterschied zwischen modernen und traditionellen Geselschaften besteht in der Art und Wirksamkeit der Kontrolle des Todes." Feldmann zufolge unterliegt in modernen Gesellschaft auch der Tod "...einer starken medizinischen, rechtlichen und bürokratischen Kontrolle".1 Diese Bürokratisierung hat den Menschen ihren Tod aus den Händen genommen. Daher fehlt es an konkreter Erfahrung und Sprache im Umgang mit dem Tod. Die zunächst entlastende Wirkung bürokratischer Abläufe hat zur Unfähigkeit geführt, Tod und Trauer eigenständig zu verarbeiten. Auch die demographischen Entwicklungen, insbesondere die gestiegene Lebenserwartung, haben die konkrete Erfahrung des Todes verändert. Viele Menschen leben heute jahrzehntelang, ohne im engeren familiären Umfeld jemals mit dem Tod konfrontiert worden zu sein. Notgedrungen sind daher die alltäglichen Vorstellungen vom Tod aus zweiter Hand geprägt.
So verwundert es nicht, dass sich Umgang mit den Toten zu einer Angelegenheit für Bestatter, Techniker und Friedhofsbürokraten entwickelt. Nur noch wenige Relikte sind erhalten geblieben von jener emotionsgetönten Trauerkultur, die das Bürgertum im 19. Jahrhundert zelebrierte. Aus einem einst rätselhaften, vielgedeuteten Mythos ist ein praktisches, delegierbares Problem geworden.
Jene sozialen Kollektive, die einst die Sterbenden und Toten begleiteten und die entsprechenden Rituale praktizierten, haben ihre Bedeutung weitgehend verloren: also die Nachbarschaften oder die Zünfte, Genossenschaften oder auch Arbeitervereine und Gewerkschaften.2
Immerhin üben bis heute - vor allem auf dem Land - die Kirchengemeinden sowie natürlich die Familie weiterhin die Rolle aus, die Toten auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Sonst aber, so scheint es, ist die sinnlich-konkrete Erfahrung von Sterben und Tod weithin verloren gegangen. Das aber hat Folgen für jene gemeinschaftlichen Rituale, die die Geschichte des Umgangs mit dem Tod bis in die Moderne hinein so sehr geprägt hat. Die eigene soziale (Selbst-)Verpflichtung zur Trauer im öffentlichen Raum - etwa in Trauerzügen auf der Straße - entfällt, weil der öffentliche Raum im Vergleich zur Bilderwelt des Fernsehens oder der digitalen Welt des Internet eine immer geringere Rolle spielt.
Diese Entwicklungen zeugen davon, dass sich die Beziehungen zu den Erinnerungsorten in einem grundlegenden Sinn verändert haben - und damit auch zu den Orten von Tod und Trauer. Die neuen, partikularisierten Lebenswelten zeigen eher einen "Durchgangs"-Charakter. Sie lassen sich mit jenen "Nicht-Orten" vergleichen, wie sie der französische Ethnologe Marc Augé beschrieb. Man geht zu ihnen eine nurmehr flüchtige Beziehung ein. Das Flüchtige wird zum Selbstverständlichen und lässt alles Dauerhafte als historisches Relikt erscheinen.
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