Bestattungskultur der Gegenwart
Norbert Fischer

1. Einführung

Die Bestattungskultur durchläuft zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine grundlegende Zäsur. Aus gesellschaftlicher Perspektive verlieren die bislang in der Bestattungskultur dominanten sozialen Institutionen, vor allem Familie und Kirche, ihre bisherige Bedeutung. An ihre Stelle treten neue, freiere soziale Formationen. Dies gilt auch für die Bestattungsrituale, die – lange Zeit von christlichen Liturgien geprägt - sich zunehmend als Patchwork-Zeremonien zeigen und unterschiedlichen Einflüssen unterliegen. Zugleich verändern sich die Schauplätze der Bestattung: Der klassische Friedhof in kommunaler bzw. kirchlicher Trägerschaft verliert seine bisherige fast monopolartige Rolle. Bei zunehmender Zahl und Formenvielfalt der Aschenbeisetzungen spielt die Bestattung in der freien Natur (so genannte Naturbestattungen) eine immer wichtigere, jedoch noch durch gesetzliche Vorschriften eingeschränkte Rolle. Hinzu kommen neue Bestattungsorte in den Städten, wie sie sich unter anderem in den so genannten Bestattungskirchen zeigen.

Insgeamt lässt sich der aktuelle Wandel der Bestattungskultur als eine gesellschaftliche, kulturelle und räumliche Partikularisierung charakterisieren. Diese repräsentiert die sepulkralen Muster veränderter gesellschaftlicher Lebenswelten: tradierte soziale Strukturen wandeln sich bzw. lösen sich auf, räumliche Bindungen und Eingrenzungen verflüssigen sich. Diese Entwicklungen können unter Leitbegriffen wie Flexibilisierung, Individualisierung und Exterritorialisierung gefasst werden.

Kulturhistorisch ist der Friedhof mit seinen zumeist familienbezogenen Grabstätten bis zum Ende des 20. Jahrhunderts der zentrale Schauplatz von Bestattung, Trauer und Erinnerung gewesen. Die Grabstätte bedeutete gesellschaftliche Identität auch nach dem Tod. Mit Grabdenkmal, Grabbepflanzung und Grabbesuchen gab es einen festgefügten Rahmen. Diese idealtypischen Muster entstammten der bürgerlichen Trauerkultur des 19. Jahrhunderts. Sie setzten voraus, dass der Kreis der Hinterbliebenen, namentlich der Familie, in der Regel über mehrere Generationen vor Ort ansässig war. Hingegen haben in der von hoher gesellschaftlicher Mobilität und Fluktuation geprägten Gegenwart solche traditionellen Ortsbindungen an Bedeutung verloren. Die partikularisierten Lebenswelten kreieren neue Rituale und Räume.

Dies hat grundlegende Auswirkungen auf die Entwicklung der Begräbnisplätze. Die klassischen Friedhöfe, die in Deutschland in der Regel von Kommunen oder Kirchengemeinden betrieben werden, verlieren tendenziell an Bedeutung. Stattdessen wird die freie Landschaft (vor allem Waldflächen) zu neuen, in der Regel von privatwirtschaftlichen Unternehmen unter Markennamen wie „Friedwald“ und „Ruheforst“ betriebenen Schauplätzen der Bestattungskultur (in Deutschland seit 2001). Auch darüber hinaus spielt der öffentliche Raum in Form des „Public Mourning“ eine immer wichtigere Rolle für die Erinnerungskultur, wie nicht allein, aber mit großer gesellschaftlicher Bedeutung die zunehmende Zahl der Unfallkreuze am Straßenrand zeigen. Dies ist auch ein Indikator für das zunehmende Auseinanderdriften von Bestattungsort einerseits, Erinnerungsort andererseits.