4. Bedeutung der Aschenbeisetzungen: Naturbestattungen, Aschediamant und Bestattungskirchen

Diese Entwicklungen sind eng verknüpft mit einer rasch wachsenden Zahl und zunehmenden Formenvielfalt von Aschenbeisetzungen. Sowohl der steigende Anteil von Aschenbeisetzungen als auch die zunehmende Zahl von Beisetzungen außerhalb der klassischen Beisetzungsplätze führen insgesamt zu einem stetig verringerten Flächenbedarf auf den Friedhöfen. Erstmals lassen sich in der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts mehr Menschen in Deutschland einäschern als beerdigen – bei nach wie vor großen regionalen Unterschieden.

Allgemein ist die Asche zur Grundlage fast aller neueren Varianten der Bestattungskultur geworden. Entscheidend ist die – im Vergleich zur Körper- (Erd-) Bestattung – hohe Mobilität der Asche, die flexible Beisetzungsmöglichkeiten erlaubt und der Bestattungskultur neue Räume eröffnet. Die Asche kann an fast jeden Bestattungs- und Erinnerungsort verbracht oder auch geteilt werden sowie verschiedene Bestattungs- und Erinnerungsorte generieren. [3] Die Aschenbeisetzung hat sich damit als sepulkrales Signet der mobilen Gesellschaft erwiesen. Als erstes deutsches Bundesland gestattet Bremen seit dem 1. Januar 2015 – unter bestimmten Voraussetzungen – die Aschenbeisetzung außerhalb von Friedhöfen.

Die bedeutendste Entwicklung im frühen 21. Jahrhundert ist der Trend zur Naturbestattung. Ihre bekannteste Variante ist die Baumbestattung im freien Wald, die unter anderem unter ihren privatwirtschaftlichen Vermarktungsnamen „Friedwald“ und „Ruheforst“ geläufig geworden ist. [4] Dabei werden Bäume in bestehenden Wäldern genutzt, sie sind Grabstätte und Grabzeichen zugleich. Je nach Anbieter und lokalen Bedingungen ist es möglich, persönliche Erinnerungszeichen, zum Beispiel Namenstafeln, anzubringen. Im übrigen ist die Bestattungsfläche im Wald als solche nicht auf den ersten Blick zu erkennen, da sie möglichst naturbelassen wirken soll. Die klassischen Friedhöfe greifen diesen Trend auf und legen eigene Bestattungswälder an. Andere, aus dem Ausland bekannte Formen der Naturbestattung, beispielsweise die Flussbestattung und Bergbestattung, sowie das Verstreuen der Asche in der freien Natur (auch von einem Flugzeug oder Ballon aus) ist in Deutschland abgesehen von Ausnahmen wegen der hier in der Regel üblichen Bestattungspflicht auf Friedhöfen bisher gesetzlich nicht gestattet.

Gleiches gilt für die allerdings in Deutschland quantitativ noch wenig bedeutsame Bestattungsform des „Aschediamanten“. Dabei werden Teile der Asche zu einem Schmuckstück gepresst, dieses kann unter anderem als Schmuckstück am Körper getragen werden. Der Theologe und Bestattungsforscher Thomas Klie schreibt: „Damit verlagern sich die bestattungskulturellen Semantiken radikal: von der dauerhaften Repräsentation [auf dem Friedhof] [hin zur]… Imaginationskraft der überlebenden.“ [5] Die Aschenreste bieten hier vielfältiges Potenzial, mit anderen Elementen von Trauer und Erinnerung kombiniert zu werden. Als „ebenso miniaturisierte wie mobile und dauerhafte Verdichtung“ lassen sie sich im Kontext der Erinnerungskultur flexibel einsetzen. [6] Wie die genannten und weitere Varianten der Naturbestattung ist die Herstellung von Aschediamanten in Nachbarländern, wie Schweiz und österreich, möglich.

Eine in Deutschland schon länger bestehende Form der Naturbestattung ist die so genannte Seebestattungen (die präziser „Meeresbestattungen“ heißen müssten). Heute ist die Seebestattung – als Urnenbeisetzung im Meer – eine Form der Naturbestattung, für die die Bestattungspflicht auf Friedhöfen nicht gilt. Das deutsche Feuerbestattungesetz von 1934, das die Feuerbestattung der Erdbestattung erstmals allgemein gleichstellte, erlaubte in § 9, Absatz, 3, auf Antrag und mit behördlicher Genehmigung Ausnahmen von der Beisetzung der Asche auf einem Friedhof – und damit grundsätzlich auch die Seebestattung. Dies galt auf Antrag zunächst für bestimmte, der Seefahrt verbundenen Personengruppen. Die Anfänge regulärer Seebestattungen für breitere Bevölkerungskreise in der Bundesrepublik Deutschland stammen aus den 1970er Jahren. 1975 wurde auf Initiative des Bundesverbandes des Deutschen Bestattungsgewerbes die Deutsche See-Bestattungs-Genossenschaft e. G. (DSBG) mit Sitz in Kiel gegründet. Ihr gehören gegenwärtig rund 400 Unternehmen an. Verlässliche Zahlen In der DDR war die Seebestattung nicht möglich, aber auch hier gab es für Sterbefälle bei der Marine eine gesetzliche Regelung (Pludra 2011; Fischer 2014c). Ursprünglich stammte die Seebestattung aus der Zeit der Segelschifffahrt, als es aus hygienischen nicht immer möglich war, an Bord Verstorbene mit in den nächsten Hafenort zu nehmen. Wie gegenwärtig, war auch damals die Seebestattung mit bestimmten maritimen Traditionen verbunden.

Zu den aktuellen Entwicklungen der Aschenbeisetzung zählt auch die Renaissance der Kolumbarien als Aschenbeisetzungsstätten. Diese aus der Frühzeit der Feuerbestattung bekannte Beisetzungsform nutzt Fächer beziehungsweise Nischen innerhalb von alten Friedhofskapellen oder in speziellen Neubauten auf Friedhöfen. Eine spezielle, angesichts der ursprünglichen Ablehnung der Feuerbestattung durch die christlichen Kirchen geradezu paradox erscheinende Entwicklung sind dabei die so genannten Urnen- bzw. Begräbniskirchen. Dabei werden Urnenanlagen in nicht mehr genutzten, ehemaligen Kirchengebäuden eingerichtet. In der St.-Konrad-Kirche im nordrhein-westfälischen Marl-Hüls werden die Urnen von einheitlich gestalteten Wandflächen aufgenommen. Die Ruhezeit beträgt 15 Jahre, anschließend wird die Asche in einem Sammelgrab innerhalb der Kirche beigesetzt. Der Urnenraum in der Kirche ist zum Totengedenken regelmäßig geöffnet. Mit St. Jacobi in Lübeck ist beispielhaft auch eine für Gottesdienste genutzte Kirche zum Kolumbarium geworden. [7]



Quellen

[3] Mädler [4] Rüter, Friedwald, 2011; Assig, Waldesruh, 2007.
[5] Klie, Performanzen, 2008, S. 9-10.
[6] Mädler, Urne, 2008, S. 73.
[7] Sörries 2008; Sparre [im Druck]).