Vortrag 16. November 2006 Bünde/Westerenger

7. Zum Schluss: Perspektiven eines humanen Umgangs mit Sterben und Tod

Die Wege zu einer neuen Bestattungskultur wurden nicht zuletzt von einzelnen gesellschaftlichen Gruppen und Initiativen geebnet. Sie verkörpern jenen humanen, solidarischen Umgang mit Sterben und Tod, der einen ganz fundamentalen Weg zum "Traum vom anderen Tod" bahnt. Dies gilt seit vielen Jahren, etwa seit Beginn der 1990er-Jahre, beispielhaft für die AIDS-Selbsthilfebewegung. Die Krankheit AIDS hat Tod und Bestattung im Bewußtsein vieler, nicht zuletzt junger Menschen zu einem aktuellen Thema gemacht und führte zu einer besonderen Solidarität. Stellvertretend für viele andere Beispiele sei hier auf jene Gemeinschaftsgrabstätten für AIDS-Tote verwiesen, wie sie auf städtischen Friedhöfen eingerichtet wurden. Auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof etwa entstand die erste Gemeinschaftsgrabstätte im Jahr 1995, als eine bereits bestehende, aber nicht mehr genutzte Grabanlage umgestaltet wurde. Hier fanden AIDS-Opfer eine ihre letzte Ruhestätte, die sonst als Sozialbestattung möglicherweise an versteckter Stelle hätten beigesetzt werden müssen.

Ähnliches gilt für die Hospizbewegung, die sich für eine humanere Einstellung gegenüber Sterbenden engagiert - auch sie verkörpert den "Traum vom anderen Tod". Die Hospizbewegung hat sich seit Ende der sechziger Jahre von Großbritannien aus weltweit entfaltet, in Deutschland jedoch erst in den achtziger und vor allem in den neunziger Jahren größeres Gewicht erlangt. Die Hospizbewegung rückt den sterbenden Menschen und seinen Sterbeprozeß in den Mittelpunkt, sie wendet sich gegen die medizintechnische Abschiebung der "Austherapierten", der unheilbar Kranken. Der Hospizbewegung verwandt und eng mit ihr zusammen arbeitet die Palliativmedizin. Sie versucht, innerhalb der Institution Krankenhaus mithilfe psychosozialer Betreuung und der Gabe schmerzlindernder Mittel den Schwer- und Schwerstkranken eine würdevolle letzte Lebensphase zu ermöglichen.

Ich fasse zusammen: Die neue, kreative Trauerkultur, diese Spielwiesen der Innovation sind eingebunden in einen gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod, der von Selbstbestimmung und Anteilnahme geprägt ist. Der "Traum vom andern Tod" basiert darauf, dass der Tod nicht mehr in erster Linie als technisch-organisatorisches, sondern als psychosoziales Problem verstanden wird. Sie basieren auch darauf, daß die potentielle kulturelle Vielfalt des Umgangs mit dem Tod nicht als Störfaktor, sondern als Chance begriffen wird. Das zutiefst humane Anliegen, am Sterben und am Tod des einzelnen Menschen Anteil zu nehmen, ist also noch nicht gänzlich verschüttet worden. Dies ist eine Art soziales Kapital. Dieses soziale Kapital wird gespeist von dem Wunsch, den Tod nicht jenen zu überlassen, denen Effizienz, Funktionalität oder Geschäftssinn wichtiger sind als ein menschenwürdiger Abschied. Wenn Sterben, Tod und Trauer als wesentlicher Bestandteil des eigenen Lebens, der eigenen Identität akzeptiert werden, dann ergeben sich fast zwangsläufig auch neue kulturelle Formen und Rituale - jenseits der bislang vorherrschenden Routine. Der Vertreter einer AIDS-Selbsthilfegruppe faßte dies einmal in folgendem Versprechen an einen sterbenden Freund zusammen: "Ich kümmere mich um dich, bis du gut unter der Erde liegst."