Mikrolandschaft und Metropolregion: Über den räumlichen Wandel im Hamburger Umland 1950-2000
Von Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg, 2007)

3. Drei Fallstudien

Einige dieser Mikrolandschaften sollen im Folgenden exemplarisch näher betrachtet werden. Das erste Fallbeispiel betrifft die bereits erwähnte "neue" Stadt Glinde. Glinde war um 1970 ein typisches Beispiel für die Modernisierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrer damaligen Orientierung an großstädtischen Leitbildern. Bei der Neuplanung der Ortsmitte, die zuvor von einem dann weitgehend abgerissenen Gutsbetrieb dominiert worden war, setzte man auf extreme Verdichtung durch neuen Hochhausbau und kommerziellem City-Center. Ein Presseartikel aus dem Jahr 1979, in dem Glinde Stadtrechte erhielt, charakterisiert den Ort wie folgt: "Jenseits der Straßen reihen sich die Wohnsilos, die nach Glinde pasen wie Containerriesen auf die Binnenalster. Ich bin im Glinde von heute, einer Trabantenstadt und Schlafstätte für 5.000 Pendler, woran nichts zu ändern ist: Im Schatten der Riesenstädte ist das für die Kleinen der Zug der Zeit." Um 1980 jedoch endete diese am Leitbild der Großstadt orientierten Ära der Modernisierung. Statt Wohnsilos wandte man sich einer "harmonischen Bebauung" mit Einfamilien- und Reihenhäusern zu. Besonders bemerkenswert, weil den Paradigmenwechsel veranschaulichend ist der planvolle Erhalt der so genannten Deputatshäuser als historisch-ländlicher Architektur in der alten Dorfstraße (1983). Zu diesen Beispielen einer Wieder-Verländlichung en miniature gehört auch die Sanierung der Glinder Mühle (1983-85) und Nutzung als kulturelles bzw. kulturhistorisches Zentrum (Heimatmuseum, Ausstellungen, Archiv) sowie die Sanierung und Umbau des ehemaligen Gutshauses (1987-1994). Auf der Mühlenwiese entstanden Wagen-Schauer und Lehmbackofen.

Gleichfalls konservatorisch zeigte sich ab 1980 auch der Umgang mit dem unbebauten Raum. Dazu zählten die Wiederherstellung von Glinder Au und Mühlenteich als Natur- und Naherholungsräume sowie der systematische Aufbau von Grün- und Waldflächen: unter anderem Friederici-Park mit Biotop (1983-87), Forstflächen an der Autobahn (1990), die Erweiterung Gellhorn-Park (1993). Es begann ein geregelter Baumschutz und - kurios-anekdotisch - die Ausweisung von Flächen für so genannte Hochzeit- und Geburtshaine (1984). Später kamen unter anderem Waldlehrpfad (1990), Kompost-Anlage (1992), Wanderwegebau und Pflanzaktionen hinzu.

Blicken wir auf ein weiteres Beispiel, das die Konservierung historischer Strukturen als Mikrolandschaft besonders eindrucksvoll demonstriert: die Neugestaltung des Ortszentrums der Stormarner Großgemeinde Ammersbek. Im Gegensatz zu den Entwicklungen in den 1960er-Jahren, als man bei der Gestaltung der Ortskerne zur radikalen, meist vielgeschossigen Neubebauung im Sinne einer "City-Bildung" neigte (besonders ausgeprägt im eben beschriebenen Glinde), ging man im späten 20. Jahrhundert dazu über, historische Strukturen in den Mittelpunkt zu rücken. Diese wurden als "identitätsstiftend" betrachtet - nicht zuletzt, weil in den Jahren nach den Gemeindezusammenlegungen und kommunalen Gebietsreformen einerseits in vielen Kommunen ein Zentrum überhaupt erst geschaffen werden musste. Ein herausragendes Beispiel bildet die nahe Ahrensburg gelegene Großgemeinde Ammersbek, die mit Wirkung vom 1. Januar 1978 aus den beiden zuvor selbstständigen Gemeinden Hoisbüttel und Bünningstedt bei einer nunmehrigen Einwohnerzahl von rund 8 000 gebildet worden war. Zur Errichtung des neuen Ortszentrums diente eine nahe der B 434 gelegene hofähnliche Fläche um den ehemaligen Pferdestall eines früheren Gutshofes. Das neue Ortszentrum wurde offiziell 1988 eingeweiht, nachdem das neue Rathaus bereits im Mai 1987 mit dem Umzug der Verwaltungsmitarbeiter in Besitz genommen worden war. In der Ortschronik heißt es dazu: "Kaum ein Thema in der Gemeinde hat die Ammersbeker so intensiv und ausdauernd beschäftigt wie das Ortszentrum auf dem ehemaligen Gutsgelände in Hoisbüttel."

Die 3,2 Hektar umfassende Fläche des Gutsgeländes inmitten von Hoisbüttel war 1969 durch die Gemeinde von der Schleswig-Holsteinischen Landgesellschaft erworben worden, um auf die bauliche Entwicklung in Hoisbüttel Einfluss nehmen zu können. Die Wirtschaftsgebäude waren anschließend verpachtet und danach der Pferdestall als provisorische Unterkunft für den Bauhof genutzt worden. Das Herrenhaus war seit 1955 als Schullandheim einer Hamburger Schule genutzt worden. Im August 1975 hatte die Gemeindevertretung Hoisbüttel beschlossen, einen Bebauungsplan für das Gebiet Hamburger Straße, Ohlstedter Straße und Gutshof aufzustellen. Angesichts des bevorstehenden Gemeindezusammenschlusses wurde jedoch das Planverfahren zunächst zurückgestellt.

Bei dem 1983 von einem Architektenbüro vorgelegten Gestaltungskonzept wurden sieben Gestaltungskriterien zur Diskussion gestellt, die den "kleinmaßstäblichen, dörflichen Charakter" betonen sollten:
"1. Repräsentatives Ortszentrum mit Identifikationswert für die Bürger.
2. Der Gemeindestruktur und dem Ortsbild angepaßter dörflicher Charakter.
3. Geschlossene Raumbildung durch die Gebäude in Anlehnung an die traditionelle Guts-Hof-Anlage (sic).
4. Verwendung des ehemaligen "Pferdestalls" als gestaltprägendes Gebäude.
5. Einfügen von Neubauten mit traditioneller Kubatur und modern interpretierten Fassaden.
6. Verwendung landschaftstypischer Baumaterialien.
7. Gebäudebezogene Freiflächengestaltung als Bindeglied der Gesamtanlage."

Der Dorfplatz wurde zur zentralen Erschließungsfläche: "Neben der Wiederherstellung des Teiches [ehemalige Pferdeschwemme] und der erhaltenden Pflege der wertvollen Bäume sollte die Fläche mit einem kleinteiligen Natursteinpflaster belegt werden. Die Gliederung der Fläche durch farblich abgesetzte Pflasterstreifen sollte sich auf die Fahrspuren beschränken. Durch materialgerechte Unauffälligkeit sollten auch die Freiflächen den dörflichen Charakter unterstreichen."

Das beauftragte Architektenbüro fasste den gewünschten "dörflich-repräsentativen Charakter" der neuen Großgemeinde, die übrigens annähernd so viele Einwohner zählte wie Glinde in der Zeit der 1960er-Jahre, wie folgt zusammen: "Es wird festgestellt, daß das untersuchte ehemalige Gutsgelände als Standort für das geplante Ortszentrum der Gemeinde sehr gut geeignet ist. Die Lage am Rande der gewachsenen Dorfstruktur mit vorhandenen alten Gebäuden und wertvollem Grünbestand vermag der Anlage einen unverwechselbaren Charakter zu geben. Besonders das ehemalige Gutsgebäude und der kastanienumstande Teich verleihen dem Ensemble einen Reiz, der durch Neuplanngen nur schwer zu erreichen wäre. Das von der Gemeinde aufgestellte Nutzungsprogramm konnte in 3 Gebäuden funktionsgerecht verteilt werden, so daß das städtebauliche Konzept, welches im B[ebauungs]-Plan bereits angedacht war, mit Leben gefüllt werden konnte. Die vorgeschlagene Raumbildung um den Dorfplatz entspricht der traditionellen Hof-Form und gibt der Anlage den gewünschten dörflichen Charakter und gleichzeitig eine repräsentative Ausstrahlung."

Kommen wir zum dritten und letzten Beispiel - der Gemeinde Hoisdorf bei Ahrensburg. Sie entwickelte sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts von einem Bauerndorf zu einer großstadtnahen Wohngemeinde im Grünen entwickelt. Der Zweite Weltkrieg und die Nachkriegszeit forcierten - wie auch in den anderen Orten - diese Entwicklung nachdrücklich, weil sowohl ausgebombte und evakuierte Hamburger als auch Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten Zuflucht suchten. Bis 1968 verdreifachte sich die Einwohnerzahl im Vergleich zur letzten Vorkriegsstatistik (1939) auf 2 700. Um 1960 waren nurmehr 14% der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, ein Drittel weniger als noch 1950.

Diese Entwicklungen veränderten die dörfliche Landschaft, denn der Ort hat sich auf mehrere Siedlungen verteilt. Der alte Dorfanger, also der historische Ortskern mit Dorfteich, steht mittlerweile unter Denkmalschutz. Zusammen mit den umliegenden Gehöften symbolisiert dieser Anger ebenso das ländlich-bäuerliche Milieu wie das nahgelegene Stormarnsche Dorfmuseum, in dem Relikte dieser vergangenen Lebenwelten dokumentiert werden. Dorfanger und Dorfmuseum sind für die gegenwärtige Sozialstruktur der Gemeinde längst nicht mehr repräsentativ. Dennoch gehören sie als eigenständige Mikrolandschaften zum heutigen Erscheinungsbild des Ortes.

Von besonderer Bedeutung ist jedoch die Tatsache, daß inmitten des Ortes eine als Naturschutzgebiet ausgewiesene Landschaft mit mehreren Gewässerflächen liegt: die "Hoisdorfer Teiche". Dieses rund 30 Hektar umfassende Naturschutzgebiet liegt als topografisches Zentrum inmitten einer Gemeinde, deren infrastrukturellen Vorzüge im Übrigen durch ihre Nähe zu Autobahn und Hamburger U-Bahn geprägt sind. Die Natur wird also in ihrer musealisierten Form - nämlich als Schutzgebiet - zu einem Element der neugestalteten Räume zwischen Stadt und Land.
Gestützt und gefördert werden diese Phänomene durch die Regionalplanung. Im Entwicklungsgutachten 1994 heißt es zusammenfassend für Stormarn, dass eine "Sicherung und Entwicklung des Biotopverbundsystems" sowie eines räumlichen Verbundes der Naherholungsräume anzustreben sei.

Wagen wir ein Zwischenresümee: Stormarn ist seit dem späten 20. Jahrhundert, nach Abschluss der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden und an der klassischen Kernstadt orientierten "Modernisiserungs"-Phase zu einem Patchwork unterschiedlicher Mikrolandschaften geworden, das sich beliebig neu zusammensetzen lässt. Diese Region zwischen Stadt und Land zeigt sich als durch ein dichtes, einheitlich gestyltes Verkehrsnetz verbundenes Patchwork von verdichteten Wohn- und Gewerbegebieten, Inseln historischer Lebenswelten (Architektur) und "unberührter" Natur (Naturschutzgebiete, Biotope, Naturdenkmäler). Diese Entwicklung ist nicht zuletzt dem Umstand zu verdanken, dass Stormarn - wie auch die umliegenden Kreise - frühzeitig von jenem raumplanerischen Zugriff erfasst wurden, der seinen jüngsten Höhepunkt im Konzept der Metropolregion Hamburg gefunden hat.

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