5. Serialisierung der Trauer

Erstaunlich ist die fast schablonenhafte Wiederholung einzelner Grabfiguren – die gleiche Körperhaltung, Gestik und Mimik finden sich auf verschiedenen Friedhöfen immer wieder. Die Popularität dieser sich häufig ähnelnden Figuren ist Zeichen, dass die zugrunde liegenden Projektionen auch in wiederholter Reproduktion nicht an Aktualität verloren. Besonders deutlich wurde dies, als die „Trauernde“ als industrielle Galvanoplastik nach 1890 massenhaft produziert wurde.

Die äußere Ähnlichkeit der Galvanoplastiken mit wesentlich kostspieligeren Bronzeplastiken sorgte für eine rasche Ausbreitung auf den Friedhöfen. Schon bald tauchten die seriell hergestellten „Trauernden“ auf deutschen Friedhöfen auf – wie übrigens auch andere Galvanofiguren und -reliefs. [25] Sie füllten die Kulisse des Friedhofsraumes als Signet einer neuen, industriellen Zeit aus. Noch rund 100 Jahre später waren beispielsweise auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof fast 60 Galvano-„Trauernde“ erhalten geblieben. [26]

Die Galvanoplastik entsteht durch ein elektrochemisches Verfahren zur Herstellung beziehungsweise Nachbildung eines Objektes über die galvanische Abscheidung von dünnen Metallüberzügen. Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt, wurde es vor allem zur fabrikmäßigen, relativ kostengünstigen Nachbildung von Kunstgegenständen und kunstgewerblichen Objekten eingesetzt. Bei der Herstellung von Sepulkralplastiken um die Jahrhundertwende unterschied man zwischen Kern- und Hohlgalvanos: Im ersteren Fall erhielt ein figürlich modellierter Gips- bzw. Holzkern einen dünnen Metallüberzug. Bei den Hohlgalvanos bedurfte es zunächst einer Hohlform, auf deren Innenseite sich dann der nur zwei bis drei Millimeter starke Metallniederschlag absetzte. Grundsätzlich konnte auf diese Weise das einmal angekaufte Modell eines Künstlers beliebig oft reproduziert werden. [27] Geradezu kurios mutet angesichts der fabrikmäßigen Herstellung an, dass Galvano-Produzenten wie die Württembergische Metallwarenfabrik (WMF) mithilfe exakter Buchführung im allgemeinen nur je ein Exemplar jeden Modells pro Friedhof gestattete, um ihrem Produkt die Aura des Besonderen zu erhalten. [28] Die schablonenhafte Ähnlichkeit der Galvanoplastiken untereinander ließ allerdings diese Praxis zur Farce werden.

Kunsthistorisch gelten die Galvanoplastiken als „traditionelle, in den Spielarten eines popularisierenden Historismus ... gestaltete Grabfiguren“. [29] Ihr Anteil an der Zahl der Grabplastiken insgesamt war allgemein sehr hoch – auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof stellen sie mehr als die Hälfte aller erhaltenen Plastiken. Die Käuferschicht setzte sich aus wohlhabenden Kaufleuten, Gewerbetreibenden und Vertretern des Bildungsbürgertums zusammen. [30]

Die fabrikmäßig produzierte, serialisierte Trauernde ist deswegen von besonderer Bedeutung, weil sie ein charakteristisches Beispiel für jene Mischung aus Kultur und Technik bildet, die so sehr die Mentalität bürgerlicher Kreise in der wilhelminischen Gesellschaft prägte. [31] Emotionales Pathos und modern-industrielle Produktionsweise gingen in der beliebig reproduzierbaren „Trauernden“ eine bezeichnende Synthese ein – gleichsam als industrialisierte Variante bürgerlicher Gefühlsverwaltung.



Quellen

[25] Für Hamburg-Ohlsdorf: Leisner u.a. (wie Anm. 13), S. 129 – 130 sowie S. 121 – 122. Für Essen stellt Heike Schmidt geradezu eine „Überflutung“ der Friedhöfe in der Zeit ab 1900 fest; Schmidt (wie Anm. 13), S. 152.

[26] Ellen Thormann, Zur Galvanoplastik. Zwischen Originalitätsanspruch und massenhafter Produktion, in: Ellen Thormann, Barbara Leisner, Helmut Schoenfeld, Massenhaft Engel – Galvanoplastiken auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Hamburg 1997, S. 11 – 25.

[27] Zur Geschichte der Galvanoplastik siehe Hartmut Gruber, Die Galvanoplastische Kunstanstalt der WMF 1890 – 1953. Geschichte, Betriebseinrichtungen und Produktionsverfahren, in: Hohenstaufen / Helfenstein, Historisches Jahrbuch für den Kreis Göppingen Band 9, 1999, S. 147 – 195; Meinhold Lurz, Erhalt der Aura trotz technischer Reproduktion. Berliner Künstler arbeiten für die WMF, in: Ethos (wie Anm. 12), S. 325 – 336. Die zeitgenössische Bedeutung dieses Produktionsverfahrens wird deutlich durch die ausführliche Behandlung in den Enzyklopädien; siehe beispielsweise Brockhaus´ Konversationslexikon, 14. vollständig neubearbeitete Ausgabe, Siebenter Band, Leipzig, Berlin und Wien 1898, S. 513. – Mit diesem Herstellungsverfahren wurden übrigens auch zahlreiche Krieger- und Kaiserdenkmäler kostengünstig produziert.

[28] Lurz (wie Anm. 26), S. 326. Walter Benjamin diagnostizierte bekanntlich den Verlust der Aura bei Kunstwerken durch die technische Reproduzierbarkeit; Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Ders., Gesammelte Schriften, Werkausgabe, Band I.2, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, Zweiter Band, Frankfurt/M. 1980, S. 471 – 508.

[29] Thormann (wie Anm. 13), S. 24.

[30] Ebd., S. 14 – 16.

[31] Martin Doerry, Übergangsmenschen. Die Mentalität der Wilhelminer und die Krise des Kaiserreiches, Zwei Bände, Weinheim, München 1986.