3. Geschlecht und Tod

Im 19. Jahrhundert verstärkten sich die figürlichen Bezüge auf den Grabmälern: Stelen mit Porträtreliefs oder aufgesockelte Büsten ließen das Grabmal spätestens bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine denkmalartige Funktion gewinnen. [12] Überhaupt fielen die Grabstätten immer größer aus – ein regelrechter Grabmalkult entwickelte sich. Er fand seinen Höhepunkt in den monumentalen Familiengrabstätten der Kaiserreich-Zeit. Gerade in jener Epoche, vor allem nach 1890, sollte auch die „Trauernde“ ihre größte Verbreitung erleben. In immer neuen Varianten verkörperte sie – in der Tradition des sublimierten, sanften Bildes vom Tod – gefühlsbetonte Darstellungen von Abschied und Übergang: in sich versunken, kranzlegend oder blumenstreuend. [13] Ihr melancholischer Blick, ihre kranzumfassenden Hände sind Beispiele für jene in der geschlechtsspezifischen Aufgabenteilung ausgeprägte Körpersprache, mit der Trauergefühle im abstrakt Weiblichen typisiert wurden. Derjenige aber, um den getrauert wurde – das männliche Familienoberhaupt – war jeweils konkret identifizierbar. Seine Biographie und sein gesellschaftliches Prestige wurden in der Grabstätte gefeiert. Nicht selten erschien sein Porträt zusätzlich auf der Grabstätte, waren der Blick und die tröstenden Hände der „Trauernden“ ihm zugewandt. Zugleich ist dies ein Hinweis auf das konservative Rollenverständnis der Auftraggeber wie auch der sepulkralen Bildhauerkunst. Das abstrakt verstandene Weibliche wurde zum Vehikel für Trauergefühle, während die Frau als individuelle Person auf den Grabdenkmälern in der Regel nur im Namen der zugehörigen Gattin oder Mutter auftauchte.

Die Kunsthistorikerin Gerlinde Volland resümiert: „Nähe und Ferne fallen im Bild der weiblichen Trauernden zusammen. Sie ist sowohl Allegorie der Trauer als auch Abbild der trauernden Frau ... Als Allegorie personifiziert sie die ausgelagerte, auf jemand anderes verschobene, zunehmend tabuisierte Trauer; als trauernde Hinterbliebene zeigt sie die emotionale Nähe zum Verstorbenen an: Die Frau als ´die Andere´ trauert um ´den Einen´, Einzigen.“ [14] Ein bekanntes künstlerisches Beispiel für diese These ist für Arthur Strousberg, den 1874 frühverstorbenen Sohn des Berliner „Eisenbahnkönigs“ Bethel Henry Strousberg, entworfene Grabdenkmal. Es stammt von Reinhold Begas, einem Repräsentanten der Berliner Bildhauerschule. Das ursprünglich als Marmorausführung geplante, später in Bronze gegossene Werk zeigt einen aufgebahrten Jüngling, über den sich eine junge, seinen Kopf im Schoße haltende Frau beugt. [15]

Weiblichkeit und Trauer stehen in einer langen Tradition. Seit Jahrhunderten sind Frauen in der Totenfürsorge engagiert und haben auch die Trauerarbeit, nicht zuletzt das öffentlich Trauern übernommen. So konnte sich eine spezifisch weibliche Mimik und Gestik des Trauerns ausbilden. „Die ´Sorge um den Anderen´ ... bleibt als Leerstelle und gleichzeitig gesellschaftliche Notwendigkeit als Leistung dem weiblichen Geschlecht überlassen“, schrieb Gisela Ecker über die geschlechtsspezifische Aufgabenteilung im Umgang mit Toten. [16] Auch Ursula Machtemes verweist in ihrer Studie über bildungsbürgerliche Witwen im späten 19. Jahrhundert darauf, dass Frauen in besonderem Maße als Träger von „Kummer und Leid“ galten. So konnten sie bei Trauer eine spezielle „Gefühlskompetenz“ beanspruchen, die nicht zuletzt die Würdigung des verstorbenen Gatten – seiner Lebensleistung und sozialen Stellung – einschloss. [17]

Dies äußerte sich nicht zuletzt in den entsprechenden Berufen der Leichen- oder Totenfrauen, Seelnonnen oder Heimbürginnen, wie die regional unterschiedlichen Bezeichnungen in der Totenfürsorge lauteten. In Hannover beispielsweise war die Totenfrau – das Amt wurde 1730 im Rahmen einer aufgeklärten Gesundheitspolitik eingerichtet – neben der Bademutter (Hebamme) die einzige weibliche Inhaberin eines offiziellen städtischen Amtes. [18]

Betrachtet man das Phänomen allein aus dieser Perspektive, so verweist auch die Grabfigur der „Trauernden“ zunächst auf die kompensatorische Funktion weiblicher Emotionen. Es scheint, als würde diese arbeitsteilige Rollenübernahme, die sich über verschiedene Epochen hinweg in einer Vielzahl von „sozialen und ästhetischen Praktiken“ zeigte, [19] auf die Grabstätten übertragen – verewigt in Stein und Bronze.

Wenn auch die Tradition weiblicher Trauerarbeit den Boden für eine spezifisch weibliche Gestik und Mimik im Umgang mit Tod und Trauer bereitete, so blieb auf der anderen Seite die Personifikation des Todes bis in die Neuzeit hinein wenn nicht ausschließlich, so doch im wesentlichen männlich geprägt. Dies gilt sowohl für das naturalistische Skelett der Vormoderne als auch für die im späten 18. Jahrhundert aufkommenden klassizistischen Todesgenien, die den Tod als sanften „Freund Hein“ neu personifizierten. [20]



Quellen

[12] Sibylle Einholz: Was der Nachwelt bleibt – Einblicke in die Berliner Sepulkralplastik, in: Ethos und Pathos. Die Berliner Bildhauerschule 1786 – 1914, hrsg. von Peter Bloch, Sibylle Einholz und Jutta von Simson, Berlin 1990, S. 257 – 280, hier S. 270.

[13] Beispiele siehe unter anderem bei Heike Schmidt, Friedhof und Denkmal im Industriezeitalter am Beispiel Essener Friedhöfe. Geschichte – Gestaltung – Erhaltung. Eine kunsthistorische Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung des Steinzerfalls, Bochum 1993, S. 109 und S. 11 – 116; Barbara Leisner, Ellen Thormann, Heiko K. L. Schulze, Der Hamburger Hauptfriedhof Ohlsdorf. Geschichte und Grabmäler, Band I, Hamburg 1990, S. 131 – 133; Josef Abt, Wolfgang Vomm, Der Kölner Friedhof Melaten, Köln 1980, S. 85. – Zum „Abschied“ als immer wiederkehrendes Motiv in der Sepulkralplastik des 19. Jahrhunderts siehe allgemein Einholz (wie Anm. 12).

[14] Gerlinde Volland, Trauer in weiblicher Gestalt – Grabplastik um 1900 auf dem Friedhof Melaten, in: Denkmalpflege im Rheinland 15 (1998), S. 1 – 11.

[15] Cornelius Steckner, Museum Friedhof. Bedeutende Grabmäler in Berlin. Berlin 1984, S. 19. Wegen des Zusammenbruchs von Strousbergs Finanzgeschäften noch vor Vollendung des sepulkralen Werkes wurde dieses vorläufig nicht aufgestellt. Strousberg, zugleich Mäzen von Begas, hatte den Auftrag zu dem Werk unmittelbar nach dem Tod seines Sohnes erteilt, kurz bevor seine Unternehmungen zusammenbrachen. Der Plan, das Werk in Marmor auszuführen, konnte nicht realisiert werden. Das Werk wurde erst für die Pariser Weltausstellung 1900 gegossen, wo es einen Grand Prix erhielt. 1930 wurde die Bronzeplastik als Gefallenendenkmal auf dem Städtischen Friedhof Reinickendorf aufgestellt. Ebenda, S. 19 – 20.

[16] Ecker (wie Anm. 1), S. 11 und S. 20.

[17] Ursula Machtemes, Leben zwischen Trauer und Pathos. Bildungsbürgerliche Witwen im 19. Jahrhundert, Osnabrück 2001, S. 73 und S. 76.

[18] Karljosef Kreter, „... das ich doch die Todten auf hiesiger Neustadt alle bekommen möge“. Totenfrauen – Geschlechterfragen beim Dienst an Toten, in: Adlige, Arbeiterinnen ... – Frauenleben in Stadt und Region Hannover, hrsg. von Karin Ehrich und Christiane Schröder, Bielefeld 1999, S. 87 – 111; Die letzte Reise. Sterben, Tod und Trauersitten in Oberbayern, hrsg. von Sigrid Metken, München 1984, S. 100.

[19] Ecker (wie Anm. 1), S. 11.

[20] Karl S. Guthke, Ist der Tod eine Frau? Geschlecht und Tod in Kunst und Literatur, München 1998 (2. Aufl.), S. 146 und S. 162