5. Jenseits des Friedhofs: Zur Exterritorialisierung von Bestattung und Erinnerung

Aber auch jenseits der friedhofsbezogenen Binnenstrukturen lösen sich die Grenzen auf. Der klassische, kommunale oder kirchliche Friedhof ist im frühen 21. Jahrhundert nicht mehr der alleinige Schauplatz von Bestattung, Trauer und Erinnerung. Vielmehr erobern letztere den öffentlichen Raum und die freie Landschaft. Damit aber verlieren die Bestattungsorte der Postmoderne zugleich ihren geschlossenen Charakter des „Gräber-Machens“ [24] , wie ihn Andrea Gerhardt beschrieb. [25]

Aktuell bedeutsamste Tendenz dieser Exterritorialisierung von Bestattungen sind die Naturbestattungen – beispielhaft verkörpert vom so genannten Berg-Naturfriedhof „Ruheberg“ in Oberried (Schwarzwald). Eröffnet im Jahr 2006, wurde die von der örtlichen politischen Gemeinde getragene Anlage 2010 erweitert. Auf diesem „Ruheberg“ mit seinem Mischwaldbestand können einzelne Urnengrabhaine oder so genannte Friedhaine erworben werden. Bei letzteren handelt es sich um Gruppen von 12 Urnengräbern um einen Baum, die beliebige soziale Gruppierungen abbilden können: zum Beispiel Familien, Freundeskreise, Vereine oder ähnliches.

Als quantitativ derzeit wichtigstes Beispiel für Naturbestattungen ist die so genannte Baumbestattung in freien Waldgebieten zu nennen, die vor allem von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie „Friedwald“ und „Ruheforst“ vermarktet wird. [26] Inzwischen gibt es in Deutschland über 100 Baumbestattungsanlagen in Wäldern. Dabei ist der Baum mit seinem Wurzelwerk in einem möglichst naturbelassenen, freien Waldgebiet Grabstätte und Grabzeichen zugleich. Je nach ortsspezifischen Bedingungen und Anbieter ist es möglich, schlichte Zeichen von Trauer und Erinnerung zu positionieren. Gleichwohl soll die als solche belassene Umgebung des Waldes bewusst naturnah wirken, die Bestattungsflächen sind nur bei genauerem Hinsehen zu erkennen. Andere Formen der Naturbestattungen sind See- oder Almbestattungen, die ebenfalls neue, speziell inszenierte Orte von Tod, Trauer und Erinnerung hervorbringen.



Quellen

[24] A. Gerhardt, ´Exklusive´ Orte und normale Räume. Versuch einer soziotopologischen Studie am Beispiel des Friedhofs, Norderstedt 2007, 142 – 145.

[25] Ebd., S. 22 – 23.

[26] S. Rüter, Friedwald. Waldbewusstsein und Bestattungskultur, Münster 2011; S. Assig, Waldesruh statt Gottesacker. Der Friedwald als neues Bestattungskonzept, Stuttgart 2007.