2. Das Ende der Einzelgrabstätte

Der Theologe Thomas Klie hat die gegenwärtigen Entwicklungen der Bestattungs- und Erinnerungskultur in drei unterschiedliche Codes eingeteilt: den anonymisiert-altruistischen Code (Beispiel: anonyme Rasenbestattung), den naturreligiös-ökologischen Code (Beispiel: Baumbestattung) und den – hier im Folgenden allerdings vernachlässigten – ästhetisch-performativen Code (Beispiel: Aschediamant). [8]Zusammengenommen verkörpern sie unterschiedliche Szenarien postmoderner Bestattungskultur.

Der anonymisiert-altruistische Code wird repräsentiert von der namenlosen Rasenbestattung, also grünen, rasengeprägten Urnengemeinschaftsanlagen (namenlose Körperbestattungen bilden eher die Ausnahme). [9] Sie kommen ohne Kennzeichnung einzelner Grabstätten aus. Die Rasenbestattung hat den Abschied von der klassischen, persönlich gekennzeichneten Einzel- und Familiengrabstätte eingeläutet. Sie repräsentiert auf eine ganz spezifische Weise die „Ortlosigkeit“ der Postmoderne und ist Ausdruck einer Gesellschaft, in der emotionale Bindungen an feste biografische Orte keinen Sinn mehr machen. Im gesellschaftlichen Hintergrund stehen – abgesehen von Kostenaspekten – die stark gewachsene Mobilität sowie die sich wandelnden Beziehungsformen: Familie, soziale Klasse, Konfession – was in der Epoche der Industriemoderne relativ festgefügt schien, zeigt sich in der Postmoderne in tendenzieller Auflösung. Der mit einem festen (Heimat-) Ort verbundenen Zusammenhalt zwischen den Generationen spielt eine immer geringere Rolle.

Sowohl die klassische Familiengrabstätte als auch das einzelne, gekennzeichnete Reihengrab für jedermann waren Ausdruck des bürgerlichen Zeitalters, dessen Anfänge in der Zeit um 1800 lagen und das die Grabmalkultur bis weit ins 20. Jahrhundert geprägt hat. Zeigten sich die bürgerlichen Grabdenkmäler vor allem um 1900 teils monumental und reich geschmückt, so führte bereits die Grabmalreform des frühen 20. Jahrhunderts zu reduktionistischen Tendenzen, indem sie Form und Größe der Grabmäler reglementierte und uniformierte. Damit war jener Weg zur Miniaturisierung der Grabstätte bis hin zur gänzlichen Aufgabe individueller Grabzeichen auf dem Friedhof geebnet, der schließlich in die namen- und zeichenlosen Rasenbeisetzungen mündete. Gelegentlich gibt es bei letzteren zentrale Gemeinschafts- oder Jahresdenkmäler, auf denen die Namen der Bestatteten summarisch verzeichnet werden. In jedem Fall bleibt der genaue Bestattungsort des Einzelnen ungekennzeichnet und den Hinterbliebenen auch unbekannt. Die Rasenbestattungen verändern damit die Friedhofslandschaft entscheidend: War diese zuvor von eingegrenzten Grabstätten und mehr oder weniger großen Grabdenkmälern geprägt, zeigt sie sich nun als gestaltete Rasenanlage. Zugleich verringern sich dadurch Raumbedarf und Raumstruktur auf den Friedhöfen: es kommt zu einem Flächenüberhang. Ungenutzte Friedhofsflächen stellen den Erhalt vieler historisch gewachsener Friedhöfe inzwischen in Frage. [10]

Der Rasenbestattung geht in der Regel die Einäscherung im Krematorium voraus. Einäscherung und Aschenbeisetzung erweisen sich, qualitativ wie quantitativ, immer mehr als charakteristische Bestattungsform der mobilen Gesellschaft. Im Gegensatz zu einem toten Körper kann die Asche theoretisch an jeden beliebigen Platz mitgenommen werden kann. Das ist für die Auflösung sepulkraler Grenzziehungen von grundlegender Bedeutung. Im Gegensatz zur Erdbestattung erlauben die Aschenreste vielfältige Beisetzungsmöglichkeiten außerhalb der klassischen Friedhöfe. Entscheidend ist hierbei, dass das symbolische – man kann auch sagen: kreative, ja utopische – Potenzial der Totenasche ebenso hoch ist wie ihre Mobilität. Man kann die Asche teilen und verschiedene Bestattungs- und Erinnerungsorte generieren. [11]



Quellen

[8] Th. Klie, Einleitung – die Imposanz des Todes und die Suche nach neuen Formen, in: ders. (Hg.), Performanzen (wie Anm. 3), 7 – 13: 8 – 11.

[9] T. Helmers, Anonym unter grünem Rasen. Eine kulturwissenschaftliche Studie zu neuen Formen von Begräbnis- und Erinnerungspraxis auf Friedhöfen, Diss. Univ. Oldenburg 2004.

[10] M. Venne, Nachfrageorientierte Strategien zur Nutzung städtischer Friedhofsflächen, Kassel 2010.

[11] I. Mädler, Urne als Mobilie, in: Th. Klie (Hg.), Performanzen (wie Anm. 3), 57 – 75: 73.