- 1. Über die Anfänge
- 1. Vorgeschichte Die Leichenverbrennungen in vormoderner Zeit
- 2. Kremation als Reformprojekt
- 3. Zur Feuerbestattungsbewegung des späten 19. Jahrhunderts
- 4. Die Auseinandersetzungen um die Einführung der Feuerbestattung
- 2. Utopien des 18. Jahrhunderts
- 3. Die Feuerbestattungsbewegung des späten 19. Jahrhunderts
Norbert Fischer: Zwischen Technik und Trauer. Berlin 2002.
Kapitel 1
Die Mission der "Krematisten": Auf dem Weg zur Bestattungsreform
1. 3. "... eine auf das Gute und Schöne gerichtete Culturentwicklung": Zur Feuerbestattungsbewegung des späten 19. Jahrhunderts
In Deutschland organisierten sich die Anhänger der Feuerbestattung - damals hießen sie auch "Krematisten" - ab den 1870er Jahren in Vereinen. Damit gewann ihre Idee enorme Schubkraft. Es waren vor allem Vertreter des aufgeklärt-gebildeten protestantischen Bürgertums und der oben bereits erwähnten Berufsgruppen, die sich engagierten. Die ersten deutschen Feuerbestattungsvereine entstanden unter anderem in Dresden, Berlin, Gotha, Hamburg - auch im schweizerischen Zürich wurde frühzeitig ein Feuerbestattungsverein gegründet (1879). Sie betrieben eine breitgefächerte Propaganda mit Zeitschriften, Vorträgen, Broschüren und Presseartikel. Am 27. September 1886 wurde in Gotha ein Dachverband unter dem Namen "Verband der Vereine für Reform des Bestattungswesens und fakultative Feuerbestattung" gegründet. Auf diesem ersten Verbandstag wurde eine Erklärung verfasst, deren Titel "An alle Freunde der Toleranz und einer auf das Gute und Schöne gerichtete Culturentwicklung" die fast missionarischen Züge verdeutlicht, die der Feuerbestattungsbewegung anhafteten. Darin wurden auch Sozialkritik und Forderungen nach sozialer Gleichheit im Bestattungswesen laut, wenn es wörtlich hieß: "Während der Wohlhabende in prunkhafter Weise der Erde übergeben wird und seine Gruft als wirkliche Ruhestätte für alle Zukunft unversehrbares Familieneigentum bleibt, so werden die Überreste der nicht mit Glücksgütern Gesegneten in kurzer Zeit, vielfach schon nach einigen Jahren, wieder ausgegraben und weggeworfen, um neuen ins Grab sinkenden Geschlechtern Vermögenloser Platz zu machen, bis auch deren Überreste nach wenigen Jahren dasselbe Schicksal ereilt." Hier würde, so meinte man, die raumsparende Feuerbestattung es ermöglichen, jedem eine angemessene und preisgünstige Ruhestätte zu verschaffen. Wie noch zu zeigen sein wird, sollte später, im Zusammenhang mit der Arbeiterbewegung, der soziale Gedanke bei der Feuerbestattung eine noch größere Rolle spielen.
Dem genannten Dachverband, der sich 1896 in "Verband der Feuerbestattungsvereine Deutscher Sprache" umbenannte, gehörten auch Vereinigungen aus Deutsch-Österreich und der deutschen Schweiz an. Er hielt regelmäßige Verbandstage ab - manchmal kombiniert mit Ausstellungen, die die technischen Fortschritte der Feuerbestattung präsentierten. Ab 1906 wurden auch Provinzial- bzw. Landesverbände gegründet. Zum Organ des Feuerbestattungsverbandes wurde die in Wien erscheinende Zeitschrift "Phoenix" - und zwar bis 1929, bevor ein zunächst zweimonatliches, später monatliches "Zentralblatt für Feuerbestattung" ins Leben gerufen wurde.
Im späten 19. Jahrhundert konnte man jedenfalls von einer regelrechten Feuerbestattungsbewegung sprechen. In der ersten Ausgabe der "Flamme", einer seit 1884 erscheinenden "Zeitschrift zur Förderung der Feuerbestattung im In- und Auslande", hieß es: "Die Freunde der Feuerbestattung wollen Niemanden in den Flammenofen nöthigen, aber wenn der Gedanke an die feuchte, kalte Erde und den langsamen Moder uns unerträglich und widerlich erscheinen, so fordern wir in der fakultativen Leichenverbrennung auch für u n s [i. Orig. hervorgehoben] die Freiheit, und da man uns nie beweisen kann, dass unser Gefühl unmenschlich, die von uns erstrebte Form der Bestattung gemeinschädlich, unser Streben ungesetzlich ist, so stehen wir auf einem unerschütterlichen Rechtsboden."
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