Körper – Asche – Natur:
Über Transformationen des Leichnams durch Krematoriumsbau und Feuerbestattung vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart

Norbert Fischer

1. Einführung

Die im späten 19. Jahrhundert in den Industrieländern – und damit auch in Deutschland – eingeführte moderne Feuerbestattung und der Bau von Krematorien bilden die wichtigste Zäsur in der Bestattungskultur der letzten Jahrhunderte. Ihre Folgewirkungen haben bis heute stetig an Dynamik gewonnen.

Die Transformation des menschlichen Körpers in Asche – statt der allmählichen Verwesung im Erdgrab – war für die damalige Zeit ein Tabubruch, stand doch der tote Körper in einer in christlicher Tradition stehenden Gesellschaft im Mittelpunkt von Ritualen und Liturgien. Für viele Zeitgenossen bedeuteten Krematoriumsbau und Feuerbestattung einen Affront gegen die bislang herrschende, am toten Körper orientierte Pietät und einen Sieg materialistischer Gesinnung über christlich-bürgerliche Bestattungskultur (Treichel 1996). Auch wurden sie als Widerspruch zur Lehre von der körperlichen Wiederauferstehung betrachtet. Wie noch zu zeigen sein wird, kam daher von seiten des konservativen Bürgertums und der Kirchen – vor allem der katholischen – anhaltender Widerstand gegen die Einäscherung. [1]

Die Feuerbestattung führte mit der Transformation des menschlichen Körpers und dessen Miniaturisierung zu neuen Formen der Beisetzungskultur: der Aschen- bzw. Urnenbeisetzung. Die Aschenreste, die nach dem technischen Verbrennungsvorgang im Krematorium übrig bleiben, werden in der Regel in Urnen gefüllt. Aus dem Lateinischen kommend („urna“), bedeutet der Begriff zunächst ein bauchiges Gefäß (Topf beziehungsweise Krug) (Großes Lexikon 2002, 1: 366, 2: 392). Als sepulkrales Symbol ist die durch den Klassizismus aufgewertete Urne seit dem späten 18. Jahrhundert verbreitet. Zunächst diente sie – zumeist aufgesockelt – dem Schmuck von Grabstätten. Daher konnte die Urne mit Einführung der modernen Feuerbestattung eine doppelte Funktion haben: sowohl Verwahrgefäß als auch – jedenfalls bei oberirdischer Besitzung – Grabmal. In der Frühzeit der Feuerbestattung, als die oberirdische Beisetzung bevorzugt wurde, waren Stein, Keramik oder Metall beliebte Materialien für diese Schmuckurnen. Hingegen wurde bei der später vorherrschenden unterirdischen Aschenbeisetzung die Urne meist als reines, seriell gefertigtes Zweckbehältnis ohne repräsentativen Schmuck verwendet (Leisner 2003: 25).

Im Unterschied zur Körperbestattung gibt es bei Einäscherungen die hygienisch motivierte Bindung an ausgewiesene Bestattungsflächen, in der Regel kommunal oder kirchlich verwaltete Friedhöfe, theoretisch nicht. Allerdings kennt der Gesetzgeber in Deutschland durch die hier zuständigen Bundesländern bisher in der Regel noch die so genannte Friedhofspflicht auch für Aschenbeisetzungen. Gleichwohl wird diese Friedhofspflicht zunehmend unterhöhlt: durch später noch näher zu erläuternde Formen der Naturbestattungen wie die in Deutschland seit den 1970er Jahren bekannten Seebestattungen und die seit 2001 praktizierten Baumbestattungen in freien Waldgebieten und zuletzt durch die seit dem 1. Januar 2015 für das Bundesland Bremen aufgehobene Friedhofspflicht für Aschenbeisetzungen.

Entscheidend für die stetig zunehmende Popularität der Einäscherung ist die – im Vergleich zur Körperbestattung – hohe Mobilität der Asche. Sie erlaubt prinzipiell flexible Beisetzungsmöglichkeiten: Man kann die Asche teilen und verschiedene Bestattungs- und Erinnerungsorte hervorbringen. Die Aschenbeisetzung ermöglicht eine radikale Ausweitung der Beisetzungsmöglichkeiten im öffentlichen und privaten Raum. Kurzum: Die Asche ist zum sepulkralen Signet der mobilen Gesellschaft im frühen 21. Jahrhundert geworden.



Quelle

[1] Der vorliegende Text beruht teilweise auf Fischer 2002, 2014a und 2014b. – Siehe allgemein zu Feuerbestattung und Krematoriumsbau auch Spranger u.a. (Hg.) 2014; Davies, Mates (Hg.) 2005; Pfeiffer 2015; Winter 2001.