3. Auf dem Weg zum anoynmen Rasengrab

Die Miniaturisierung der Grabstätten durch die Aschenbeisetzung erfuhr nach dem Zweiten Weltkrieg in der zunehmenden Rasenbeisetzung („anonymen“ Beisetzung) eine weitere Steigerung. Darunter versteht man die Beisetzung in einer gemeinschaftlichen Anlage ohne individuelles Grabzeichen und ohne Möglichkeit zur individuellen Grabpflege. Die Anonyme Beisetzung ist, von Ausnahmen abgesehen, gleichzusetzen mit Aschenbeisetzung. Dabei wird die Asche in einer zweckentsprechenden Urne unter zunächst ausgestochenen und dann wieder eingesetzten quadratischen Rasensoden beigesetzt. Der exakte Beisetzungsort der einzelnen Urne innerhalb dieser Anlage ist nur der Friedhofsverwaltung bekannt (Sachmerda 2016).

Die Gesamtanlage ist gartenästhetisch meist ansprechend gestaltet und wird häufig von einem Gemeinschaftsdenkmal geschmückt. Die Bezeichnungen für diese Anlagen variieren in den einzelnen Städten – geläufig sind u.a. „Urnengemeinschaftsanlage“, „Urnenhain“, „Anonymer Urnenhain“, „Urnengemeinschaftshain“ oder auch schlicht „Rasenfriedhof“. Am zentralen Denkmal oder in den Randbereichen besteht in der Regel die Möglichkeit, Blumenschmuck zu hinterlegen. Bekannt als so genannte Urnengemeinschaftsanlagen prägten sie innerhalb Deutschlands zunächst Friedhöfe auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Diese entsprachen den staatssozialistischen Vorstellungen von kollektiver Bestattung, die gesellschaftliche Unterschiede im Tod verschwinden lassen sollte (Happe 2009: 189 – 191; allgemein Schulz 2013). Gelegentlich sind auf einem Gemeinschaftsdenkmal die Namen aller Bestatteten verzeichnet, in anderen Fällen auf so genannten Jahresfeldern mit einem Gedenkstein die Bestattungen eines jeden Jahres markiert. Auf dem Leipziger Südfriedhof haben sich aus einem bereits früher für Sozial- und Anatomieleichen angelegten Urnengarten seit 1960 mehrere Urnengemeinschaftsanlagen entwickelt. In den alten Bundesländern ist ab 1970 eine signifikante Entwicklung der anonymen Bestattung als reguläre Bestattung zu beobachten: Frühe anonyme Urnenhaine in den westlichen Bundesländern entstanden beispielsweise 1970 auf dem Friedhof Hamburg-Öjendorf, 1974 in Bremen-Riensberg und 1975 auf dem Friedhof Hamburg-Ohlsdorf Friedhof.

Aus den namenlosen Rasenbestattungen haben sich inzwischen zahlreiche Zwischenformen mit unterschiedlichen Bezeichnungen entwickelt. Die bekanntesten Formen sind die Aufstellung von Gemeinschaftsdenkmälern, auf denen Namen und gegebenenfalls Lebensdaten der Verstorbenen verzeichnet sind. Bekannt sind auch Anlagen, auf denen in den Boden (Rasen) eingelassene Platten Namen und Lebensdaten aufnehmen. Ebenso wie die Einäscherung im Allgemeinen ist auch das Rasengrab im Besonderen in protestantischen Regionen deutlich verbreiteter als in katholischen. Im Übrigen gibt es das ebenfalls von der Feuerbestattung her bekannte Stadt-Land-Gefälle.

Gänzlich neu ist die „anonyme“ oder Rasenbeisetzung allerdings nicht, wie ein Blick in die Geschichte zeigt. Abgesehen davon, dass weite Teile der ärmeren Bevölkerung auf den Kirch- und Friedhöfen nicht selten bis ins 19. Jahrhundert hinein namen- und zeichenlos in Gemeinschaftsgruben bestattet wurden, gab es auch gesellschaftspolitisch motivierte Projekte einer für alle gleichen Bestattung. Im späten 18. Jahrhundert verfügte der Neue Begräbnisplatz (1787) in Dessau über eine namen- und zeichenlose Rasenfläche. Er galt damals als Modellfall eines aufgeklärt-modernen Friedhofes, der den zeitgenössischen Idealen von sozialer Gleichheit und Naturästhetik entsprach (Rode 1795: 143 – 145; Happe 2005: 37 – 45). Noch radikaler waren utopische, nie realisierte Entwürfe aus dem Umfeld der Französischen Revolution, wie Pierre Girauds Pariser Bestattungspyramide, bei der ebenfalls individuelle Grabmäler entfielen, weil im Tod alle gleich sein sollten. In der Zeit der Weimarer Republik schlug der Friedhofsreformer und Dresdner Stadtbaurat Paul Wolf kollektive Beisetzungen in einem monumentalen Aschengrab vor (Wolf 1927). Im Übrigen wurden bereits im frühen 20. Jahrhundert Armen- oder Sozialbestattungen an einigen Orten in Deutschland als „anonyme“ Beisetzung vorgenommen.

In den 1990er Jahren mussten viele ältere Krematorien aufgrund verschärfter gesetzlicher Emissionsschutzbestimmungen schließen. Die notwendige Umrüstung wäre zu kostspielig gewesen. So kam es zu etlichen Krematoriumsneubauten – darunter auch privatwirtschaftlich betriebene Anlagen. Das erste rein private Krematorium in Deutschland wurde im September 1997 im rheinland-pfälzischen Landau in Betrieb genommen, weitere folgten. Häufig traten bei solchen privatwirtschaftlich organisierten Krematorien jedoch Kommunen als Anteilseigner auf, auch Bestattungsunternehmen engagierten sich.

Der spektakulärste Neubau eines Krematoriums in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg ist das Krematorium Berlin-Baumschulenweg von Axel Schultes. Bei seiner Einweihung 1999 galt es als technisch modernstes Krematorium in Europa. Bedeutungsgeladen zeigt sich das Interieur in der monumentalen Trauerhalle: Sand an den Schwellen unterhalb der Wände verweist auf Vergänglichkeit, ein schwebend aufgehängtes Ei im Zentrum der Halle auf Ewigkeit oder Wiedergeburt (Stock 2000). Auch hier, wie bei fast allen vorangegangenen Bauten, bleibt der eigentliche Zweck des Gebäudes architektonisch verborgen – Technik und Trauer werden voneinander separiert.
Allerdings wurden auch Alternativen entwickelt. Dies gilt beispielsweise für das ganzheitliche „Flamarium“-Konzept, beispielhaft umgesetzt in den Krematorien Halle/Saale und Saalekreis. Es wurde entwickelt von der „Gütegemeinschaft Flamarium“, der das Flamarium Saalkreis GmbH & Co. KG, der Gemeinnützige Feuerbestattungsverein Halle e.V. und die Trägergemeinschaft der Halloren GmbH angehören. Sie stehen in der Tradition des 1926 gegründeten Volks-Feuerbestattungsvereins Halle/Saale. Das Flamarium-Konzept zielt darauf, die Feuerbestattung nicht allein als rein technischen Akt zu praktizieren, sondern als wesentliches Element ganzheitlicher Bestattungsrituale. Beim Flamarium können die gesamten Abläufe der Feuerbestattung an einem Ort und in einer zeitlich geschlossenen Abfolge durchgeführt werden. Die Synthese von zeremoniellen und technischen Abläufen wird bei der räumlich-architektonischen Gestaltung der Anlagen berücksichtigt, vor allem der Einbezug des Verbrennungsvorgangs in die Trauerfeier. Der Name „Flamarium“ ist abgeleitet von „flamen“ (lat.: „Anbläser“) – der Bezeichnung für die Opferpriester bestimmter Götter in der römischen Antike.

Auch das 2011 eingeweihte „Bestattungsforum“ auf dem kommunalen Friedhof Hamburg-Ohlsdorf bietet Ansätze einer ganzheitlichen Bestattungskultur. Das Bestattungsforum ist eine räumliche und konzeptionelle Erweiterung des – inzwischen restaurierten sowie technisch-architektonisch erneuerten – Ohlsdorfer Krematoriumbaues von Fritz Schumacher (1933). Programmatisches Ziel ist die Möglichkeit, Abschiednahme, Trauerfeier, Einäscherung und Beisetzung der Urne zeitlich und räumlich zu bündeln und an einem einzigen Tag stattfinden zu lassen. Die Gruppe der Trauernden kann von der Feier am Sarg bis zur Beisetzung der Urne zusammen bleiben, unter anderem auch der technischen Einäscherung direkt zusehen. werden. Zudem sind im Ohlsdorfer Bestattungsforum sind zwei Orte für Urnenbeisetzungen angelegt worden: eine Urnenkrypta und ein Kolumbarium (Seifert 2012).