- 1. „Tempel ohne Glaubensbekenntnis“
- 2. Kirche und Krematorium
- 3. Zwischen Trauer und Technik: Der verborgene Tod
- 4. Ein ambivalentes Phänomen
Zur Aktualität und Geschichte des verborgenen Todes
Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg)
erschienen in: Thomas Klie (Hrsg.): Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung. Stuttgart 2008, S. 44-55.
1. „Tempel ohne Glaubensbekenntnis“
Als „Tempel ohne Glaubensbekenntnis“ bezeichnete der Schriftsteller Tudor Arghezi einst das Krematorium – und traf damit den Kern eines Problems, das die Feuerbestattung bereits in ihren Anfängen begleitete. Seit Errichtung des ersten deutschen Krematoriums im thüringischen Gotha (1878) sind diese Bauwerke, selbst wenn sie als Fanal des Fortschritts gefeiert wurden, von der Aura des Geheimnisvollen und Rätselhaften umgeben. In ihrer Frühzeit sahen sie – obwohl doch typische Kinder des Industriezeitalters – oft wie verkappte Kapellen aus. Den eigentlichen, technischen Ort der Einäscherung erreichte kaum je eine Trauerfeier. So wurde das Krematorium zum Schauplatz des verborgenen Todes. In den NS-Konzentrations- und Vernichtungslagern degenerierte es zur Stätte der Spurenbeseitigung, wo die Toten aus den Gaskammern eingeäschert wurden. Nach dem Zusammenbruch der Diktatur herrschte in Deutschland – im Antlitz des Schreckens – lange Zeit beredtes Schweigen über das Krematorium.
Bundesweit werden heutzutage über 40% aller Toten eingeäschert. Dieser Durchschnittswert verschleiert die erheblichen regionalen und konfessionellen Unterschiede sowie das Stadt-Land-Gefälle. So liegt der Anteil der Feuerbestattung in nord- und ostdeutschen Städten nicht selten bei 70-90%. Diskussionen um neue Formen der Bestattungskultur – sei es das Verstreuen der Asche, die „Urne im Wohnzimmer“ oder das Aufkommen von „Aschediamanten“ – brachten die Feuerbestattung in die Medien. Nicht zuletzt waren es wiederholte Berichte über Bustouren zu ausländischen Krematorien, die von Bestattungsunternehmen organisiert und als „Kaffeefahrt hin zum billigen Tod“ gebrandmarkt wurden. „Burn, Baby, Burn“ hieß die überschrift in der Satire-Zeitschrift „Titanic“, als sie Anfang 2005 über die „letzte Reise ins Krematorium Chomutov“ (Tschechien) schrieb: „Neben der Kirche steht ein lachsfarbener, japanisch anmutender Flachbau. Das Krematorium, wie wir gleich erfahren.“ Und weiter: „Ofen auf, Sarg rein, Feuer frei. An der Ofenrückseite ist nun Verbrennungspeepshow … ein praktisches Guckloch im Ofen ermöglicht tiefe Einblicke“. Diese und andere von Bestattern organisierten Werbetouren in preiswerte ausländische Krematorien wurden von den Kirchen – aber nicht nur von ihnen – mit Stichworten wie „Verfall der Bestattungskultur“ und „Entsorgungs-Mentalität“ kritisiert. Wie immer man über die Umstände solcher Touren denken mag – allzu lange war das Bestattungsgewerbe in Deutschland ein quasi monolithischer Block und konnte ohne Widerstände immer wieder überhöhte Preise kassieren (wie die „Stiftung Warentest“ inzwischen mehrfach feststellte). Und dass man einer Verbrennung zuschauen möchte – diesen Wunsch haben schon viele geäußert, ohne dass er in der architektonischen Gestaltung der Krematorien eine angemessene Berücksichtigung gefunden hat.
Von Ausnahmen abgesehen, bleibt der Trakt, in dem die Einäscherungen stattfinden, für Außenstehende unzugänglich.. Für viele Hinterbliebene ist er eine Arkanzone, die gern mit Anekdoten oder auch Horrorgeschichten ausgeschmückt wird. Für die betroffenen Mitarbeiter wird die Sache dadurch nicht einfacher. Wie ein ehemaliger Krematoriumsleiter erzählt, ist es keine Arbeit, von der man nach Feierabend leichthin abschaltet. Die Bilder der Toten, die in den Kühlzellen auf ihre Verbrennung warten, bleiben in Erinnerung. Kollegen quittieren nach kurzer Zeit den Dienst, weil sie der täglichen Konfrontation mit den Körpern aus der Kühlzelle nicht gewachsen sind.
Der spektakulärste Neubau eines Krematoriums in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg steht in Berlin-Treptow: das Krematorium Baumschulenweg. Es verdankt seine Aufmerksamkeit dem Namen des berühmten Architekten Axel Schultes. Bei seiner Einweihung 1999 galt es als technisch modernstes Krematorium in Europa. Bedeutungsgeladen zeigt sich das Interieur in der monumentalen Trauerhalle: Sand an den Schwellen unterhalb der Wände verweist auf Vergänglichkeit, ein schwebend aufgehängtes Ei im Zentrum der Halle auf Ewigkeit oder Wiedergeburt. Auch hier aber bleibt der eigentliche Zweck des Gebäudes architektonisch verborgen – Technik und Trauer werden voneinander separiert. Die technischen Einrichtungen mit den drei Einäscherungsöfen und der Lagerkapazität für 652 Särge liegen im Untergeschoss, in dem die Abläufe automatisch gesteuert werden. Der ultramodernen Technik steht ein traditionelles Konzept der Trauerkultur gegenüber: „Unten Technik, oben Trauer“, urteilte der Architekturkritiker Wolfgang Jean Stock.
Auch andere, weniger spektakuläre Krematoriums-Neubauten scheinen eher pragmatisch mit dem Bedürfnis nach konkreter Trauer umzugehen. Das 2001 eröffnete Kasseler Krematorium ist in beliebiger Quaderform gestaltet und wendet sich in seiner Lage am Wirtschaftshof des Friedhofs von der öffentlichkeit regelrecht ab. Dies erinnert an jene bissigen Passagen, die der eingangs bereits zitierte Schriftsteller Arghezi über den Krematoriumsbau verfasste: „Er hat seine ästhetik von den Bahnhöfen, Straßenlaternen, von den Petroleumdepots ... ... Wenn er beim Altstoffhandel verkauft wird, kann er zerlegt, demontiert und an einem anderen Platz zu verschiedenen Zwecken neu installiert werden.“
Hier wird jener ambivalente Umgang mit dem technisierten Tod deutlich, der die Geschichte der Feuerbestattung von Anfang durchzogen hat. Die Einäscherung war eher ein technisch-ökonomisches denn ein gesellschaftlich-kulturelles Problem, die Verstorbenen wurden zum Objekt einer verborgen bleibenden Maschinerie.
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