- 1. „Tempel ohne Glaubensbekenntnis“
- 2. Kirche und Krematorium
- 3. Zwischen Trauer und Technik: Der verborgene Tod
- 4. Ein ambivalentes Phänomen
Zur Aktualität und Geschichte des verborgenen Todes
Prof. Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg)
erschienen in: Thomas Klie (Hrsg.): Performanzen des Todes. Neue Bestattungskultur und kirchliche Wahrnehmung. Stuttgart 2008, S. 44-55.
2. Kirche und Krematorium
Der Bau von Krematorien und die moderne Feuerbestattung entstammen dem Industriezeitalter und sind Ausdruck des technisierten Umgangs mit den Toten. Sie haben die Bestattung beschleunigt und effizienter gestaltet – mit einem Wort: „modernisiert“. Die Einführung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert bildet eine der grundlegenden Bestattungsreformen der Neuzeit. Zum Durchbruch verhalfen ihr jene in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auftretenden infrastrukturellen Probleme, die mit der Industrialisierung zusammenhingen – wie Raumnot in den Städten und wachsende Sorgen um die Hygiene, nicht zuletzt im Bestattungswesen. Die Einäscherung wurde von den „Krematisten“ als hygienische und kostengünstige Lösung propagiert. Allgemein begünstigend wirkten der technische Fortschritt – denn eine Verbrennung auf dem Scheiterhafen wie in der Antike kam nicht in Frage – wie auch eine berufsspezifische Interessenpolitik, etwa von Hygienikern, Medizinern und Ingenieuren, die die Feuerbestattung unterstützte. Die ersten deutschen Krematorien wurden in Gotha (1878), Heidelberg (1891) und Hamburg (1982) eröffnet. Um 1910 gab es bereits 20 Krematorien in Deutschland.
Das Krematorium vereinte erstmals funktionale Etappen der Bestattung in einem einzigen Gebäude: Verwahrort für Leichen, Ort der Trauerfeier und Ort der Einäscherung – und ist manchmal mit seinen Kolumbarien auch Beisetzungsort. Das Krematorium ist zum Zeugnis eines pragmatischen Umgangs mit dem Tod geworden, weil es die Bestattung durch einen möglichst effizienten Ablauf beschleunigte und funktionalisierte.
Dennoch blieb die Feuerbestattung vor dem Ersten Weltkrieg weitgehend Angelegenheit einer schmalen Schicht innerhalb des aufgeklärten Bürgertums. Das lag vor allem daran, dass dieser säkularisierten Variante der Bestattungskultur erheblicher kirchlicher Widerstand entgegengesetzt wurde – ja, die Kirchen wurden im späten 19. Jahrhundert zum mächtigsten Gegner der Krematisten. Die übergabe des Leichnams an einen technischen Verbrennungsapparat galt ihnen als äußerste Pietätlosigkeit. Schließlich negierte es die Tradition der christlichen Beerdigung und deren Einbindung in die Liturgien. Darüber hinaus musste es aus kirchlicher Sicht als Zumutung erscheinen, wenn die Leichenverbrennung, die einst Teil christlicher Bestrafungspraxis für vermeintliche „Ketzer“ war, nun als reguläre Bestattungsart eingeführt wurde. Im Weiteren fürchteten die Kirchen, angesichts der ohnehin im späten 19. Jahrhundert fortgeschrittenen Säkularisierung auch noch auf einem ihrer klassischen Betätigungsfelder, dem Bestattungswesen, an Einfluss zu verlieren. Während die protestantischen Landeskirchen allmählich und schrittweise ihren grundsätzlichen Widerstand aufgaben, hielt die katholische Kirche bis nach dem Zweiten Weltkrieg an ihrem Verbot der Feuerbestattung fest (erst im Jahr 1964 – auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil – gestand Rom Sterbesakramente und kirchliche Trauerfeiern auch bei einer Einäscherung zu).
In diesem Kontext und angesichts des kirchlichen Widerstands gewann die Feuerbestattung zunächst nur langsam neue Anhänger. Erst nachdem sie in der Zeit um den Ersten Weltkrieg auch in breiteren Arbeiterkreisen populär wurde – unter anderem ließ sich der Sozialdemokrat August Bebel 1913 verbrennen – und dabei mitgliederstarke „Feuerbestattungskassen“ gegründet wurden, stiegen die Einäscherungszahlen. Gezielte Gebührensenkungen durch die Kommunen taten das Ihre, um die Krematorien besser auszulasten. Anfang der 1930er Jahre gab es in Deutschland bereits über 100 Krematorien.
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