4. Asche und Natur

Seit einigen Jahren wandeln sich die Formen der Aschenbeisetzung. Vor allem ist ein Trend zur naturnahen Bestattung sowohl innerhalb klassischer Friedhöfe als auch außerhalb festzustellen. Als wichtigstes Beispiel ist die so genannte Baumbestattung zu nennen, die derzeit – wie oben bereits angedeutet – in Deutschland unter Markennamen wie „Friedwald“ und „Ruheforst“ privatkommerziell vermarktet wird. Mit ihr wird der klassische Friedhof als regulärer und alleiniger Bestattungsort und Schauplatz sepulkraler Repräsentation aufgegeben. Der Baum mit seinem Wurzelwerk in einem möglichst naturbelassenen Waldgebiet ist Grabstätte und Grabzeichen zugleich. Je nach ortsspezifischen Bedingungen ist es möglich, Zeichen von Trauer und Erinnerung zu positionieren. Speziell angepasste rechtliche Rahmenbedingungen erlauben diese Form der Beisetzung außerhalb der Friedhöfe (Bauer 2015).

Ein anderes Beispiel für naturnahe Bestattungen ist der 2006 eröffnete und 2010 erweiterte kommunale Berg-Naturfriedhof „Ruheberg“ in Oberried (Schwarzwald). In seinem Mischwaldbestand können einzelne Urnengrabhaine oder so genannte Friedhaine erworben werden. Bei letzteren handelt es sich um Gruppen von 12 Urnengräbern um einen Baum, die beliebige soziale Gruppierungen abbilden können und spezielle Namen erhalten: zum Beispiel Familien, Freundeskreise oder ähnliches. Dies zeigt auch die nachlassende Bedeutung familiärer Zusammenhänge für die Bestattungskultur im frühen 21. Jahrhundert.

Auch neuere Aschenbeisetzungsanlagen, die nicht in der freien Natur liegen, zeigen eine weitgehende Auflösung der traditionellen, am Reihen- bzw. Familiengrab orientierte Friedhofsstruktur. Sie können eher als „Gedächtnislandschaften“ bezeichnet werden (Fischer 2016: 28 – 33; siehe auch Klie/Sparre [Hg.] 2016). Dies gilt beispielsweise für den um ein Krematorium („Flamarium“) angelegten „Friedgarten Mitteldeutschland“ in Kabelsketal bei Halle/Saale. Es ist ein homogen gestalteter Natur- und Kulturraum, in den Einzel- und Gemeinschaftsgrabstätten gleichsam hineinkomponiert sind. Durch spezielle Namensgebungen erhalten die einzelnen Bereiche eine spezielle Atmosphäre und Bedeutung. Die Auflösung klassischer Friedhofsstrukturen gilt auch für den so genannten Naturfriedhof „Garten des Friedens“ in Fürstenzell bei Passau, der ebenfalls an ein Krematorium angeschlossen ist. Abgegrenzte Grabstätten sind nicht mehr zu erkennen.Vielmehr sind vielfältig gestaltete Erinnerungsorte in eine weitgehend naturbelassene, nach geomantischen Prinzipien gestaltete Landschaft eingefügt.

Auch Aschenbeisetzungsflächen auf Friedhöfen werden immer häufiger landschaftlich modelliert – ein bekanntes Beispiel ist der „Friedpark“ des Hauptfriedhofes Karlsruhe. Im Jahr 2006 wurde auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof der so genannte „Ruhewald“ angelegt – eine rund zwei Hektar große verwilderte Fläche. In der Nähe von 80 markierten Bäumen können hier Aschenbeisetzungen stattfinden. Zum entsprechenden Beisetzungsbaum gehört eine in der Nähe aufgestellte pultartige Tafel, auf der die Art des Baumes und gegebenenfalls auch der Name der Beigesetzten verzeichnet sind. Die genaue Beisetzungsstelle hingegen wird mit einem ebenerdigen Granitpfosten markiert. Eine andere Tendenz repräsentieren die immer wieder neuen thematischen Varianten von Aschengemeinschaftsanlagen, beispielsweise die Themenanlage „Sternzeichen“ auf dem Hauptfriedhof Saarbrücken.

Eine schon länger bestehende Ausnahmen von der Friedhofspflicht bilden die so genannten Seebestattungen (die präziser „Meeresbestattungen“ heißen müssten). Heute ist die Seebestattung – als Urnenbeisetzung im Meer – eine Form der Naturbestattung, für die die Bestattungspflicht auf Friedhöfen nicht gilt. Das deutsche Feuerbestattungesetz von 1934, das die Feuerbestattung der Erdbestattung erstmals allgemein gleichstellte, erlaubte in § 9, Absatz, 3, auf Antrag und mit behördlicher Genehmigung Ausnahmen von der Beisetzung der Asche auf einem Friedhof – und damit grundsätzlich auch die Seebestattung. Dies galt auf Antrag zunächst für bestimmte, der Seefahrt verbundenen Personengruppen. Die Anfänge regulärer Seebestattungen für breitere Bevölkerungskreise in der Bundesrepublik Deutschland stammen aus den 1970er Jahren. 1975 wurde auf Initiative des Bundesverbandes des Deutschen Bestattungsgewerbes die Deutsche See-Bestattungs-Genossenschaft e. G. (DSBG) mit Sitz in Kiel gegründet. Ihr gehören gegenwärtig rund 400 Unternehmen an. Verlässliche Zahlen In der DDR war die Seebestattung nicht möglich, aber auch hier gab es für Sterbefälle bei der Marine eine gesetzliche Regelung (Pludra 2011; Fischer 2014c).

Weitere Formen der Naturbestattung von Aschen, wie Fluss-, Bach- oder Gebirgsbestattung sowie Verstreuen der Asche von einem Ballon oder Flugzeug aus, sind in Deutschland prinzipiell wegen des herrschenden Friedhofszwanges für Aschenbeisetzungen noch nicht gestattet, können aber in benachbarten Staaten vollzogen werden.

Gleiches gilt für die allerdings in Deutschland quantitativ noch wenig bedeutsame Bestattungsform des „Aschediamanten“. Dabei werden Teile der Asche zu einem Schmuckstück gepresst, dieses kann unter anderem als Schmuckstück am Körper getragen werden. Nach Ansicht des Theologen Thomas Klie setzen solche extrem invidualisierten Beisetzungsformen vor allem „auf die Inszenierungsqualitäten, die die letzte Lokalisierung beziehungsweise Dislokation der Leiche“ zu zeigen vermag: „Der Tod wird hierbei gerade nicht als das natürliche Ende der menschlichen Sinnproduktion angesehen, das Ableben wird vielmehr zum ultimativen Anlass, gelebtes Leben sinnvoll zur Darstellung zu bringen.“ (Klie 2008).

Zu den aktuellen Entwicklungen der Aschenbeisetzung zählt auch die Renaissance der Kolumbarien als Aschenbeisetzungsstätten. Diese aus der Frühzeit der Feuerbestattung bekannte Beisetzungsform nutzt Fächer beziehungsweise Nischen innerhalb von alten Friedhofskapellen oder in speziellen Neubauten auf Friedhöfen. Eine spezielle, angesichts der ursprünglichen Ablehnung der Feuerbestattung durch die christlichen Kirchen geradezu paradox erscheinende Entwicklung sind dabei die so genannten Urnen- bzw. Begräbniskirchen. Dabei werden Urnenanlagen in in nicht mehr genutzten, ehemaligen Kirchengebäuden eingerichtet. In der St.-Konrad-Kirche im nordrhein-westfälischen Marl-Hüls werden die Urnen von einheitlich gestalteten Wandflächen aufgenommen. Die Ruhezeit beträgt 15 Jahre, anschließend wird die Asche in einem Sammelgrab innerhalb der Kirche beigesetzt. Der Urnenraum in der Kirche ist zum Totengedenken regelmäßig geöffnet. Mit St. Jacobi in Lübeck ist beispielhaft auch eine für Gottesdienste genutzte Kirche zum Kolumbarium geworden (Sörries 2008; Sparre [im Druck]).