Region – regionale Identität - Regionalgeschichte

Erstpublikation unter: Repräsentationen des Regionalen.
In: Kulturen 4, 2010, Heft 1, S. 6-20


1. Region und regionale Identität

Repräsentationen des Regionalen entfalten sich im Bedeutungsgeflecht bestimmter Gesellschaften, Kulturen und Epochen. Nur so kann man ihre spezifische Eigenlogik im historischen Wandel und in ihren symbolischen Aneignungsprozessen erfassen. Der Sozialgeograph Benno Werlen verwendet den Begriff der „Regionalisierung“ im Sinne einer Wiederverankerung des Menschen in jener spätmodern-globalisierten Welt, die selbst die räumliche Entankerung des Menschen eingeläutet hat. Der Begriff „Regionalisierung“ dient ihm als Kategorie, um den Handlungsrahmen der Akteure in einer globalisierten Welt zu markieren. Globalisierung wird dabei als zentrale Dimension menschlicher Praxis verstanden, innerhalb derer die alltäglichen Regionalisierungen die praktischen Lebenswelten prägen: „Die Dynamisierung der sozialen Welt, so lautet die These, kann nicht lediglich mit einer ‚neuen’ Regionalgeographie getragen werden, Vielmehr ist die Neudefinition von ‚Regionalisierung’ im Sinne von ‚Welt-Bindung’ notwendig“ (S. 29-30). [1] Umgekehrt warnt Werlen vor einer Romantisierung des Regionalen: „Wer auf der Basis einer völkischen bzw. ethnischen Perspektive räumlich gekammerte, nationalparkähnlich geschützte soziale Wirklichkeiten als ‚regional-segmentäre (Einheits-) Kulturen’ auch unter spät-modernen Sozialverhältnissen postuliert bzw. für deren Erhaltung oder für die Wiederherstelllung eines territorialen Partikularismus plädiert, sollte auch die – wenig romantischen – Implikationen bedenken.“ [2]

Jenseits der vielfältigen, sich ergänzenden oder konkurrierenden Ansätze und Konzepte in den unterschiedlichen Disziplinen gibt es bislang keine anerkannte Definition von „Region“. Als kleinsten gemeinsamen Nenner definiert Carl-Hans Hauptmeyer pragmatisch: „Eine Region ist eine sich wandelnde sozialräumliche Einheit, die modellhaft ähnliches Handeln und Wirken einer menschlichen Gesellschaft abbildet“. [3] Regionen werden durch Wahrnehmung und Erfahrung konstituiert, sind Teil der Aneignung und Gestaltung von Lebenswelten [4] – die ihrerseits heutzutage schon längst nicht mehr regional bestimmt und abgegrenzt sind. Helmut Groschwitz schreibt: „Regionen sind räumliche Ordnungs- und Orientierungskategorien, sie haben Zentren, Peripherien, Grenzen und Übergänge. Grenzen ermöglichen durch Abgrenzung und das Darstellen von Differenz eine Inklusion, ein Vergewissern des Eigenen, das sich in aller Deutlichkeit erst im Kontrast zum Anderen zeigt. Regionen wiederum stehen für das Ähnliche und Zusammengehörende. Sie können auf sehr verschiedenen Grundlegungen beruhen, sich aus naturräumlichen, wirtschaftlichen oder politischen Strukturen ergeben, feudal oder administrativ festgelegt bzw. mit politischen Intentionen verändert werden. Als kulturelle Konstruktionen markieren Regionen vor allem aber historische wie gegenwärtige Kommunikationsbeziehungen, verweisen auf wechselnde Orientierungen und sich verändernde Abgrenzungen. Dabei sind kulturelle Grenzen nie scharf gezogen und es ist weniger eine harte Abgrenzung, als vielmehr ein fruchtbarer Austausch zu beobachten“. [5]

So wird der Begriff „Region“ zumeist relational verstanden, das heißt es hängt jeweils von Erkenntnisinteressen, Gegenstandszuschnitt und Methodik ab, wie er definiert wird. [6] In Frage kommen unter anderem konfessionelle Räume (Diözesen), historische (ehemalige Herzogtümer Bremen und Verden), naturräumliche (Lüneburger Heide), sozialökonomische (Ruhrgebiet) oder auch planungstechnische (Metropolregion Hamburg). Damit wird bereits deutlich, dass die räumliche Ausdehnung nicht festgelegt ist. Gleichwohl handelt es sich in der kulturwissenschaftlich-historischen Forschung in der Regel um räumliche Einheiten unterhalb der nationalen Ebene handelt (während beispielsweise in der Politologie und den Wirtschaftswissenschaften auch supranationale Räume als „Regionen“ definiert werden). [7]

Unbestritten ist, dass Regionen eine besondere Funktion für die Bildung von Identität – also von einem „Wir-Gefühl“ im Sinne der Selbst- oder Fremdzuschreibung – haben können: [8] „Die Region ist im Kontext einer modernen Regionalgeschichte […] als Handlungs-, Wahrnehmungs- und Bewußtseinsraum konkreter Menschen in ihrer Zeit zu verstehen. […] Regionen stellen somit ein Raumkonzept dar, das […] der Ausbildung personaler und sozialer Identität dient.“ [9]
Hier zeigt sich also „Identität“ als notwendige Teilmenge von „Region“ – nach innen wie auch nach außen gewendet. [10] Viele Forschungen setzen „regionale Identität“ schlichtweg voraus oder definieren ihre Erkenntnis als erstrebenswertes Forschungsziel. [11] So resultiert aus dem Begriff „Region“ – und dies gilt im Weiteren auch für „Regionalität“ – noch immer die Vorstellung eines harmonischen Ganzen und einer gleichsam gewachsenen Kontinuität, die – bleibt sie unreflektiert – unversehens von einer Prämisse zum Ziel der Erkenntnis geraten kann.

Ein Blick in die Begriffsgeschichte zeigt, dass die Anfänge der Vorstellung kollektiver, räumlich gebundener Identität einer spezifischen historischen Epoche entstammen: der Zeit um und nach 1900, also der Epoche von Hochindustrialisierung und Urbanisierung. [12] Es waren bekanntlich Jahrzehnte der besonders rapiden Umwandlung von Alltag und Lebenswelten. Wie Lutz Niethammer in seiner begriffsgeschichtlichen Studie belegt, spielte die kompensatorische Sehnsucht nach Kontinuität und kollektiver Identität in den Entwürfen der Kultur- und Modernitätskritik des frühen 20. Jahrhunderts eine grundlegende Rolle. [13] Der Mensch sollte mit einer sich rasch wandelnden und ihm scheinbar entfremdeten Umwelt wieder versöhnt werden. Nicht zufällig entfalteten sich damals verwandte gesellschaftliche Phänomene wie Heimatbewegung, nicht zufällig ist der „Heimat“-Begriff mit dem der „Regionalität“ bzw. „regionalen Identität“ eng verflochten. [14]

Repräsentationen des Regionalen – das meint jenes Reservoir kultureller Muster, die mit einer bestimmten Region verbunden werden und auf das kulturelle Erbe einer Region zurückgreifen können. Dies kann sich äußern in den vielfältigen Artefakten der Volkskultur, in bestimmten Chiffren (Leuchtturm = Küste, maritim), in historisch tradierten Erfahrungen und Mentalitäten, in einer besonderen Erfahrung von Natur und Landschaft. Repräsentationen des Regionalen zeigen sich in diesem Kontext als symbolische Darstellungen von festumrissenen Räumen im Sinne einer Verankerung im Räumlich. Als Selbst- wie auch Fremd-Darstellungen kann es sich um Artefakte (Sachkultur u.a.) oder auch um regionalen Chiffren handeln, darüber hinaus, gleichsam verallgemeinert, geht es um regionale Mentalität und Historizität.

Solche Repräsentationen des Regionalen sollen im Folgenden an Hand zweier Fallstudien aufgeschlüsselt werden:

1. „Erfahrene Regionalität“: Fallstudie Oste – eine Flussregion in Niedersachsen
2. „Partikularisierte Regionalität“: Fallstudie verstädtertes Umland im Großraum Hamburg

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Quellen

[1]
Benno Werlen: Globalisierung, Region und Regionalisierung. Sozialgeographie alltäglicher Regionalisierungen. Band 2. Stuttgart 2007 (2., völlig überarbeitete Auflage)

[2]
Ebd., S. 25.

[3]
Hauptmeyer: Regionalgeschichte, S. 558 f.

[4]
Vgl. dazu Franklin Kopitzsch: Regionalgeschichte und „Rekonstruktion historischer Lebenswelten“. In: Reimer Witt (Hrsg.): Im Spannungsfeld zwischen Regional- und Landesgeschichte. Vorträge eines Regionalsymposiums im Landesarchiv Schleswig-Holstein. Schleswig 2003 [erschienen 2004] (Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 74), S. 79-90.

[5]
Helmut Groschwitz: Ostbayern als Region. In: Ders. (Hrsg.): Ostbayern. Ein Begriff in der Diskussion. Regensburg 2008, S. 7-9, hier: S. 7. – Ich danke Prof. Dr. Franklin Kopitzsch für das Zitat.

[6]
Manfred Sinz, „Region“. In: Akademie für Raumforschung und Landesplanung (Hrsg.): Handwörterbuch der Raumplanung. Hannover 1995, S. 805-808; Peter Weichhart, Die Region. Chimäre, Artefakt oder Strukturprinzip sozialer Systeme? In: Region und Regionsbildung in Europa. Konzeptionen der Forschung und empirische Befunde. Hrsg. von Gerhard Brunn. Baden-Baden 1996, S. 25-43.

[7]
Peter Haslinger/Klaus Holz, Selbstbild und Territorium. Dimensionen von Identität und Alterität. In: Regionale und nationale Identitäten. Wechselwirkungen und Spannungsfelder im Zeitalter moderner Staatlichkeit. Hrsg. von Peter Haslinger. Würzburg 2000, S. 15-37, hier S. 26; siehe auch Petra Behrens u.a. (Hrsg.), Regionalismus und Regionalisierungen in Diktaturen und Demokratien des 20. Jahrhunderts. Leipzig 2003 (=Comparativ 13 [2003], Heft 1), darin unter anderem Karl Ditt, Regionalbewusstein und Regionalismus in Westfalen vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik (S. 17-31) sowie Petra Behrens, Regionalkultur und Regionalbewusstsein im Eichsfeld 1920-1990 (S. 32-46).

[8]
Grundlegend noch immer aus geografischer Perspektive Peter Weichhart, Raumbezogene Identität. Bausteine zu einer Theorie räumlich-sozialer Kognition und Identifikation. Stuttgart 1990.

[9]
Flender/Pfau/Schmidt: Regionale Identität, S. 24.

[10]
Ebd., S. 24 f.

[11] Beispielhaft der an der Schnittstelle von Regional-, Kultur- und Sozialgeschichte stehende Sammelband von Rolf Lindner (Hrsg.), Die Wiederkehr des Regionalen. Über neue Formen kultureller Identität, Frankfurt a. M. u.a. 1994.

[12]
Lutz Niethammer (unter Mitarbeit von Axel Doßmann), Kollektive Identität. Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur. Reinbek 2000, hier vor allem S. 412-459.

[13]
Ebd., S. 71-313.

[14]
Als Übersicht zu Heimatbewegung und -begriff in Deutschland ist immer noch aktuell Edeltraud Klueting (Hrsg.), Antimodernismus und Reform. Beiträge zur Geschichte der deutschen Heimatbewegung. Darmstadt 1991.

[15]
Die Fallstudie basiert auf einem seit 2008 laufenden Forschungsprojekt, das Verf. für den Landschaftsverband Stade e.V. durchführt. Die Abschlusspublikation ist für 2011 vorgesehen.

[20]
Der folgende Abschnitt basiert auf Textpassagen aus Norbert Fischer: Vom Hamburger Umland zur Metropolregion – Stormarns Geschichte seit 1980. Hamburg 2008; ders.: Die modellierte Region – Stormarn und das Hamburger Umland vom Zweiten Weltkrieg bis 1980. Neumünster 2000; ders.: Regionale Identität im Hamburger Umland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – Eine Problemskizze. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 93, S. 199-214

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