Landschaftsgeschichte: Region, Natur und Kultur


1. Einleitung

Das Nehrungssystem des Graswarder, die Marschen der Nordseeküste und das verstädterte Hamburger Umland haben landschaftshistorisch auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Doch gerade ihre Unterschiedlichkeit hilft, das Potenzial neuerer Landschaftsgeschichte auszuloten – ein Potenzial, das den Wandel stärker in den Fokus der Forschung rückt als die Fixierung auf einen ja nur scheinbar objektiven „kulturlandschaftlichen“ Idealzustand.

Das klassische Landschaftsideal verstand unter dem Begriff „Landschaft“ zumeist die vielfältigen Schattierungen ästhetisierter Natur. Als Katalysator dieser Wahrnehmung hatte die Landschaftsmalerei gewirkt. [1] Sie übte im 18. und 19. Jahrhundert zugleich großen Einfluss auf die Gestaltung von Gärten und Parks aus. Aus Landschaftsidealen wurden konkrete Ideallandschaften – in Deutschland beispielhaft verkörpert durch den Wörlitzer Park bei Dessau (ab 1764) oder den vom Gartenarchitekten Friedrich Ludwig von Sckell entworfenen Englischen Garten in München (1810).

Zugleich war Landschaft im Sinn von „ländlicher Gegend“ im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur Antithese von Stadt geworden – umso mehr, je näher das Zeitalter von Industrialisierung und Urbanisierung rückte. Die klassisch-bürgerliche Vorstellung von Landschaft floss hier insofern ein, als sie dem romantischen Blick des Stadtbürgers auf einen unberührt-„natürlichen“ Raum zu Grunde lag. [2]

Seit dem späten 20. Jahrhundert ist der klassische Landschaftsbegriff tendenziell aufgelöst worden, fand aber zugleich im distanziert-reflektierten Rückblick neue Aufmerksamkeit in der Forschung – „Landschaft“ wurde auch außerhalb der Kunstgeschichte zum Thema wissenschaftlicher Studien. Nunmehr war es nicht zuletzt der stete, in Wechselwirkung zwischen Natur, Arbeit und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur vollzogene Wandel der Landschaft, der zu komplexen Analysen anregte. [3]

Unter diesen Vorzeichen wird auch im Folgenden norddeutsche Landschaftsgeschichte nicht verstanden als Beschreibung idealtypischer Landschaften, sondern als Analyse der manchmal sehr raschen, den natürlichen wie auch gesellschaftlich-kulturellen Rahmenbedingungen geschuldeten Veränderungen. So unterschiedlich die drei eingangs genannten und im Folgenden nun zu erläuternden Beispiele sind, so deutlich zeigen sie jene Wechselwirkungen zwischen Natur, Kultur und Gesellschaft, die letztlich die Landschaft formen.

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Quellen

[1]
Nils Büttner: Geschichte der Landschaftsmalerei. München 2006; Thomas Ketelsen: Böhmen liegt am Meer. Die Erfindung der Landschaft um 1600. Hamburg 1999. – Ich danke Dr. Sylvina Zander (Stadtarchiv Bad Oldesloe) für die kritische Durchsicht des Textes sowie Dr. Gudrun Fiedler (Niedersächsisches Staatsarchiv Stade) und Stefan Watzlawzik (Kreisarchiv Stormarn) für die Bereitstellung von Abbildungsmaterial.

[2]
Immer noch grundlegend hier Klaus Bergmann: Agrarromantik und Großstadtfeindschaft. Meisenheim am Glan 1970.

[3]
Hansjörg Küster: Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart. München 1995; Simon Schama: Landscape and Memory. London 1995 (dt.: Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination. München 1996); Thomas M. Lekan, Thomas Zeller (Hrsg.): Germany’s Nature. Cultural Landscape and Environmental History. New Brunswick u.a. 2005; Landschaftstheorie. Texte der Cultural Landscape Studies. Hrsg. von Brigitte Franzen und Stefanie Krebs. Köln 2005; David Blackbourn: The Conquest of Nature. Water, Landscape and the Making of Modern Germany. London 2006 (dt.: Die Eroberung der Natur. Eine Geschichte der deutschen Landschaft. München 2007). – Siehe auch zusammenfassend Norbert Fischer: Landschaft als kulturwissenschaftliche Kategorie. In: Zeitschrift für Volkskunde 104, I/2008, S. 19-39.

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