Landschaft als kulturwissenschaftliche Kategorie
Vortrag Paris, 8.1.2010

Eine kürzere Fasssung des Textes mit zahlreichen Abbildungen ist erschienen in:
Zeitschrift für Volkskunde 104, Heft I/2008, S. 19-39.


4. Landschaftsbilder des 20. und 21. Jahrhunderts

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dann wurde die Stadt-Land-Antithese aufgelöst, der klassische Landschaftsbegriff zertrümmert und in neuer Perspektive geöffnet für die Partikularität postmoderner Lebenswelten. Die Ursachen für diesen Wandel des Landschaftsbildes liegen in den Entwicklungen des industriellen und postindustriellen Zeitalters.

Spätestens seit Thomas Sieverts’ 1997 erschienener Studie über die „Zwischenstadt“ gilt nicht mehr, dass hie Stadt und dort Land liegt. Die Grenzen zwischen Stadt und Land sind „räumlich und soziologisch diffus“ geworden, [21] Zwischenzonen im Umfeld der Metropolen werden nicht mehr als landschaftliche terra incognita betrachtet. Im Gegenteil: Ihnen gilt nun der dekonstruierte, vom reinen Ästhetizismus befreite landschaftliche Blick. [22]

Auf theoretischer Ebene war es John Brinckerhoff Jackson, der Pionier der Cultural Landscape Studies, der den Blick für die „neuen“ Landschaften geöffnet hat. Brinckerhoff Jackson erhob frühzeitig Einspruch gegen die „nicht nur in Europa übermächtige Tradition, die Kulturgeschichte der Landschaft als eine Geschichte des landschaftlichen Blicks zu lesen. Ein Blick, der in der Landschaft Schönheit und Dauerhaftigkeit sucht“. Stattdesssen, so Brinckerhoff Jackson, sei auch das „Temporäre und Hässliche“ als Landschaft zu verstehen. [23]

Jedenfalls löst das neue, offene Landschaftsverständnis den Begriff Landschaft von einem als harmonisch idealisierten Raum und dekonstruiert dessen jahrhundertealte, ästhetisch motivierte Identität. Stattdessen greifen neuere landschaftstheoretische Konzepte die patchworkartige Partikularisierung und Dynamisierung der Räume auf – beispielhaft dokumentiert in dem 2006 erschienenen programmatischen Sammelband über „Mikrolandschaften“. [24] Letzterer Ansatz setzt hierarchiefreie „Zwischen-Terrains“ zueinander in Beziehung: „Die zeitgenössische Ausdrucksform der Landschaft verstehen wir als eine Agglomeration von Zwischenräumen, die wir als Mikrolandschaften bezeichnen. Mit einem überkommenen Begriff von ‚Landschaft’ und deren ‚Schönheit’ verbindet sie nur noch wenig.“ [25] Im Hintergrund dieses Konzepts steht die „Verflüssigung“ der Räume, die sich durch zunehmende Mobilisierung und den damit verbundenen Verkehrsströmen entwickelt hat. [26] Kurzum: Veränderte Bewegungspraktiken führen zu neuen Landschaftskonzepten. In ihnen handeln die Menschen nicht mehr – wie noch in den Landschaftsparks des bürgerlichen Zeitalters – als kontemplatives Publikum, sondern als mobile, transitorisch von Ort zu Ort wechselnde Akteure.

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Quellen

[21]
Christophe Girot: Urbane Landschaften der Zukunft. In: Blödt u.a.: Metropolis, S. 52.

[22]
Inzwischen erscheint eine Buchreihe unter dem Titel „Zwischenstadt“, als Band 10 und 11 beispielsweise Dieter Läpple/Andreas Soyka, Stadt – Zwischenstadt – Stadtregion: raumwirtschaftliche Transformationen in der Stadtregion Frankfurt/Rhein-Main, Wuppertal 2007; Barbara Boczek, Transformation urbaner Landschaft: Ansätze zur Gestaltung in der Rhein-Main-Region. Wuppertal 2007; siehe auch Daniela Otto, Am Rand – Zwischen Stadt und Zwischenstadt. Aktuelle Stadterweiterungskonzepte, Berlin 2006.

[23]
Krebs: Blick; o. Pag.

[24]
Brigitte Franzen/Stefanie Krebs: Einleitung. In: Dies. (Hrsg.): Mikrolandschaften. Landscape Culture on the Move, Köln 2006, S. 12-19, hier S. 12.

[25]
Ebd.

[26]
Frank Werner: Von Mikro zu Makro. Randnotizen zur Veränderung des Landschaftsbegriffes im Kontext städtebaulicher bzw. architektonischer Diskurse. In: Franzen/Krebs (wie Anm. 9), S. 21-29; hier S. 27-28.

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