Norbert Fischer: Zwischen Technik und Trauer. Berlin 2002.

Kapitel 2
Die frühen Krematoriumsbauten: Planung, Technik und Architektur


3. Auf den Spuren von Peter Behrens und Fritz Schumacher: Probleme der Krematoriumsarchitektur im Kaiserreich

Die Krematorien fielen nicht nur durch ihre neuartige Funktion auf, die Verstorbenen mit Hilfe industrieller Technik einzuäschern, sondern auch durch ihre bisweilen kuriose Architektur. Schließlich bildeten sie eine völlig neue Bauaufgabe, die zu teilweise skurrilen Lösungen führte. Die frühen Krematoriumsbauten, die bis 1900 verwirklicht wurden, zeigten in ihrer uneinheitlichen Architektur eben jene Spannung zwischen zeremonieller Trauer und industrieller Technik wider, die die Geschichte der Feuerbestattung insgesamt durchzogen hat. Antikisierende Elemente spielten eine große Rolle, aber paradoxerweise waren auch immer wieder kirchenverwandte Ausdrucksformen zu finden.

Bereits Mitte der 1870er Jahre war eine theoretische Schrift entstanden, die sich mit der Problematik von Krematoriumsbauten befasste - ein Beitrag des Architekten Joseph Ritter von Schmaedel unter dem Titel "Welches ist die Aufgabe der Architektur angesichts der Versuche und Bestrebungen, die Verbrennungen der Leichen obligatorisch einzuführen?" Von Schmaedel sah drei grundlegende Bauelemente: den Verbrennungsraum, die Feierhalle und die Urnenanlage. Bereits von Schmaedel sah die Trennung von Trauer und Technik vor.

Grundsätzlich stellte sich den Architekten die Aufgabe, eine relativ aufwändige technische Verbrennungsapparatur mit den herrschenden Mustern von Trauerkultur und Pietät in Einklang zu bringen. Der Raum für die Trauerfeiern musste mit dem technischen Trakt in Verbindung stehen, sollte von letzterem aber möglichst wenig zeigen - zu sehr fürchtete man das Verdikt konservativer Kreise angesichts einer weithin als "seelenlos" betrachteten industriellen Technik. Bei der äußeren Gestaltung bildete insbesondere der betriebsbedingt notwendige und relativ hohe Schornstein einen heiklen Punkt.

In der Frühzeit der Feuerbestattung orientierten sich die meisten Architekten bei der Lösung dieser Aufgabe am zeittypischen Historismus. Formtraditionen der Antike und des Mittelalters - immer wieder auch christliche Elemente - wurden aufgegriffen und miteinander kombiniert. Zum Teil entstanden dabei monströse Bauten, deren kulturelle Vieldeutigkeit die gesellschaftlichen Probleme der Feuerbestattung in ihrer Frühzeit offenbarte. Schlichte klassizistische Bauten, wie das Krematorium Gotha, blieben eine Ausnahme.

Ein typisches Beispiel für die verschnörkelt-vieldeutige Formensprache späthistoristischer Architektur ist das Hamburger Krematorium von 1892. Ernst Paul Dorn, der den Bau entwarf, verwandte sowohl Elemente barocker Kapellen, romanischer und byzantinischer Kirchen wie auch italienischer Profanbauten des Mittelalters. Auffallend ist die Gestaltung des Schornsteins, der zusammen mit einem Treppenturm an der Nordwestseite des Gebäudes liegt. Weiterhin wird das äußere Bild des Bauwerks von den unterschiedlichen Dachformen geprägt, wie Sattel- und Zeltdach. Zur Gliederung benutzte der Architekt rote Verblendziegel und - in geringerem Maße - auch so genannte Formsteine. Den Verblendziegeln maß der Architekt besondere Bedeutung zu. Bemerkenswerterweise fand diese Gestaltungsweise damals auch bei funktionalen Industriebauten ihre Anwendung.

In der inneren Gestaltung ließ der Architekt einen großen Zentralraum für Trauerfeiern verwirklichen, der rund 100 Menschen Platz bot. In elf Metern Höhe über dem Boden wölbt sich eine Kuppel, die mit ihren bunten Butzenscheiben das Oberlicht abdämpft. Gegenüber dem Haupteingang lag eine Nische - der Ort für den Trauerredner, vor dem sich eine katafalkartige Erhöhung erstreckte, auf der der Sarg aufgebahrt wurde. Daneben beherbergte die Feierhalle noch eine Empore mit einem Harmonium sowie ein Kolumbarium (Nischenwand für Urnenbeisetzungen).

Ganz im Gegensatz zu dieser betont feierlichen, pietätvollen Gestaltung des Innenraumes stand die nüchtern-funktionale Einäscherungsapparatur, die sich im Untergeschoss befand. Sie war über Schienen und eine hydraulische Hebevorrichtung mit dem Katafalk in der Trauerhalle verbunden. Mit Hilfe dieser Installation gelangte der Sarg auf einem kleinen Wagen nach der Trauerfeier automatisch zur Verbrennungsapparatur. Es verwundert angesichts des bisher Dargelegten nicht, dass dem reibungslosen, kaum wahrnehmbaren Funktionieren dieser Vorgänge seitens des Feuerbestattungsvereines großes Gewicht zugesprochen wurde. Dabei kam der technische Fortschritt der "Pietät" zugute. Der Sarg verschwand gleichsam wie von Zauberhand gelenkt aus der Feierhalle - und auch die spätere Einäscherung blieb für die Trauernden verborgen.

Zeitgenössische Fachleute zeigten sich bei der Beurteilung des Hamburger Krematoriums sichtlich irritiert ob dieser seltsamen Mischung aus mittelalterlicher Tradition und moderner Funktionalität. Diese Irritationen hingen sicherlich mit jener Ambivalenz zusammen, die der frühen Feuerbestattungsbewegung eigen war. Schon die Einflüsse der Industriearchitektur deuteten ja an, dass die Feuerbestattung nicht einfach die Fortsetzung der Beerdigung mit anderen Mitteln war, sondern dass hier eine epochale Zäsur stattfand. Gleichwohl wurden traditionelle, ja sakrale Ausdrucksformen nach wie vor als notwendig empfunden.

Auf der einen Seite verfocht man eine grundlegende Reform im Bestattungswesen, auf der anderen Seite musste man mehr oder weniger auf traditionelle Pietätsvorstellungen anpassen, wollte man nicht in der gesellschaftlichen Isolation verharren. Auch sah man sich genötigt, tatsächlichen oder vermeintlichen Angriffen von konservativer, insbesondere von kirchlicher Seite schon im Vorwege durch einen Rückgriff auf das Arsenal bekannter Ausdrucksformen zu begegnen.

Wie sich in der Zukunft zeigen sollte, blieb dies eines der Hauptprobleme der Feuerbestattungskultur. Die Verbannung der Verbrennungstechnik in das nicht öffentlich zugängliche Untergeschoss, die auch bei späteren Bauten immer wieder verfolgt wurde, sollte die Trennung zwischen Trauer und Technik zementieren. Insofern lässt sich auch festhalten, dass die - sicherlich völlig neue - Bauaufgabe "Krematorium" mit einer gewissen Inkonsequenz bewältigt wurde. Das zentrale Element der neuen Bestattungsart, der Leichenverbrennungsapparat, wurde regelrecht versteckt. Inhalt und Form traten auseinander, das Arsenal historistischer Architektur wurde zum bloßen Dekor, das der veränderten Realität äußerlich blieb. Gesellschaftlich wurde der technische Trakt des Krematoriums und insbesondere der Verbrennungsapparat damit zum "Arkanum" - zu einem geheimen Ort, den man gern verdrängte.

Wie dem auch sei: Über mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit konnten sich weder das Hamburger Krematorium noch die anderen Bauten beklagen. Immer wieder wurden sie in der Presse vorgestellt. Das Hamburger Krematorium zählte nach seiner Fertigstellung zu den Sehenswürdigkeiten der Hansestadt. Man konnte Ansichtskarten von dem Gebäude erwerben oder es gegen 50 Pfennig Eintritt besichtigen - letzteres sogar dann, wenn eine Trauerfeier stattfand (sofern es die Hinterbliebenen gestatteten).

Die geschilderte Trennung von Trauer und Technik fanden sich in mehr oder weniger modifizierter Gestalt auch in vielen späteren Krematoriumsbauten wieder. Im 1901 eröffneten Mannheimer Krematorium wurde der Katafalk, der der Aufbahrung des Sarges diente, zusätzlich mit einem von vier schlanken Säulen getragenen Dach versehen. Letzteres senkte sich mit dem Sarg und verschloss die entstandene Öffnung rasch wieder. Wie wichtig diese, dem letzten Abschied am offenen Grab des Friedhofs nachgeahmten Abläufe waren, zeigt folgender Kommentar über die Mannheimer Anlage aus der zeitgenössischen Presse: "Da das kaum mannshohe Dach leicht mit Kränzen und losen Blumen zu schmücken ist, so würde die Gruft wie mit diesen gedeckt und geschlossen erscheinen, und es ist wohl denkbar, dass ein solcher Abschluss der Trauerfeier von ästhetisch noch wohlthuenderer Wirkung wäre, als es in jenen Crematorien [Gotha und Hamburg] der Fall ist."

Es gibt zahlreiche weitere Beispiele, dass die Krematoriumsarchitektur in der Kaiserreich-Zeit die gesellschaftlichen Irritationen im Umgang mit der technischen Feuerbestattung widerspiegeln. So weist die Gestaltung der Krematorien Mainz (1903) und Heilbronn (1905) deutliche sakrale Elemente auf. Wie sehr man sich um ein feierliches Ambiente der Trauerhallen bemühte, zeigt folgende zeitgenössische Schilderung zum 1903 fertiggestellten Krematorium in Karlsruhe: "Dem Zweck entsprechend hat das Innere eine verhältnismäßig reiche Ausstattung erfahren, deren Mittelpunkt der reich getriebene und mit bunten Edelsteinen besetzte Kupfersarkophag bildet, unter dem während der Trauerfeier der Sarg ruht. Darüber schwebt die Decke als offener mittelalterlicher Dachstuhl mit reich gemalten Sparren-Zwischenfeldern, gleich einem hellblauen Himmel das Ganze überspannend. Den Mittelpunkt der in strengen romanischen Formen ausgeführten Wand- und Deckenmalerei bildet das große auf Putz aufgetragene Gemälde an der Kanzelwand ..."

Auf geradezu kuriose Weise offenbarten sich die Paradoxien, die aus den Auseinandersetzungen um die Feuerbestattung resultierten, beim 1910 eingeweihten Krematorium Gera mit seinem "Monisten-Loch". Nach Streitigkeiten um die überkonfessionelle Nutzung setzte die zuständige Landeskirche im thüringischen Kleinfürstentum Reuß (jüngere Linie) durch, dass für nicht-christliche Bestattungsfeiern ein separater Versenkungsschacht benutzt werden musste, wenn der Sarg in den Einäscherungstrakt befördert werden sollte. Die Bezeichnung "Monistenloch" geht auf den Umstand zurück, dass eine der führenden Persönlichkeiten des Geraer Feuerbestattungsvereines zugleich der örtliche Vorsitzende des Deutschen Monistenbundes war. Diese 1906 im benachbarten Jena ins Leben gerufene Vereinigung propagierten eine wissenschaftlich fundierte Welt- und Lebensanschauung, die im Übrigen der Mentalität der Feuerbestattungsanhänger durchaus verwandt war.

Das auf dem Ostfriedhof errichtete Geraer Krematorium wies noch eine weitere Kuriosität der frühen Feuerbestattungsbewegung auf: das so genannte "Kremato-Columbarium System Marsch". Der Name bezieht sich auf den Geraer Stadtbaurat Adolf Marsch, der die Anlage entworfen hatte. Da auf dem Begräbnisplatz bereits eine Friedhofskapelle mit Feierhalle vorhanden war, musste nur noch eine Verbrennungsanlage errichtet werden, die wiederum vom Stadtbaurat Marsch mit einem Kolumbarium verbunden wurde. Diese besondere Kombination ließ sich Adolf Marsch unter der oben genannten Bezeichnung patentieren.

Im benachbarten Jena war das vom örtlichen Feuerbestattungsverein errichtete Krematorium 1898 in Betrieb gegangen. Die Stadt hatte ein Grundstück auf dem Nordfriedhof kostenlos zur Verfügung gestellt und verwaltete auch den Krematoriumsbetrieb, bevor 1906 die gesamte Anlage in städtischen Besitz überging. Übrigens gab es in Jena zunächst keine Versenkungsanlage, bevor 1909 auch hier die übliche Kombination geschaffen wurde.

Häufig gab es auf lokalpolitischer Ebene heftige Auseinandersetzungen und jahrelanges Tauziehen um die Krematoriumsbauten. Dies zeigte sich beispielsweise in Freiburg (Breisgau) - viele sahen in dem schließlich 1913/14 vollendeten Bauwerk einen Angriff auf die katholische Kirche. Dabei hatte man mit allerlei Strategien versucht, etwaigem Widerstand vorzubeugen. So ließ man eine Planskizze verteilen, die das antikisierende Bauwerk inmitten eines Parks mit hochaufragenden Koniferen und einer Wasseranlage zeigt. Diese Architekturskizze, die den politischen Gremien bei der Abstimmung vorlag, sollte die "Natürlichkeit" des Todes im Krematorium suggerieren.

Noch vor dem Ersten Weltkrieg löste sich die Krematoriumsarchitektur allmählich vom historistischen Stilpluralismus der frühen Jahre - die Zahl der deutschen Krematorien war bis 1910 auf über 20 angestiegen. Es waren vor allem zwei Bauten, die eine Zäsur bedeuteten: Peter Behrens’ Krematorium in Hagen/Westf. (1908) und Fritz Schumachers Krematorium in Dresden (1911). Das vom bekannten Architekten und Designer Peter Behrens in Hagen geschaffene Krematorium hob sich bereits aufgrund seiner kompakt-geschlossenen, streng symmetrischen Gesamtgestaltung von früheren Krematorien ab.

Berühmt wurde das Bauwerk aber vor allem wegen seiner Innenausstattung mit ihrem auf toskanische Vorbilder zurückgehenden mathematisch-geometrischen Dekor, das säkulare Funktion und sakrale Atmosphäre vereinte. Peter Behrens, der bahnbrechend für eine "sachliche" Ausrichtung in Architektur und Kunsthandwerk wirkte, schuf nur wenig später mit der AEG-Turbinenhalle in Berlin (1909) sein bekanntestes Werk. Pläne und ein Modell für bzw. vom Hagener Krematorium waren auf verschiedenen Ausstellungen zu sehen, u. a. auf der Ausstellung moderner deutscher Kunst in London 1906, auf der Ausstellung für christliche Kunst (!) in Düsseldorf 1909 und auf der Städtebau-Ausstellung in Düsseldorf 1910.

Den Auftrag zum Hagener Krematorium - übrigens dem ersten in Preußen - hatte Behrens von dem Hagener Industrieunternehmer und Mäzen Karl Ernst Osthaus erhalten. Osthaus konnte mit dieser Initiative die geplante Realisierung eines historistischen Entwurfs verhindern. Über seine Einstellung zu dieser Bauaufgabe schrieb Peter Behrens an Osthaus im Mai 1905: "In erster Linie scheint es mir erforderlich, daß die Zweckbestimmung des Gebäudes nach außen hin klar zum Ausdruck gelangt. ... Auch die ganze übrige Detailbehandlung müßte strengste Monumentalität und vornehme Einfachheit zum Ausdruck bringen." Das Bauwerk wurde nach zweijähriger Bauzeit 1908 vollendet. Allerdings wurde die Inbetriebnahme des bereits fertigen Krematoriums durch die preußische Obrigkeit untersagt, da in Preußen damals noch kein Feuerbestattungsgesetz vorlag. Der Hagener Feuerbestattungsverein versuchte auf allen erdenklichen Wegen, die Inbetriebnahme des Krematoriums durchzusetzen. Allein durch das Faktum des betriebsfertigen Krematoriums sollte die Obrigkeit zu einer Entscheidung bewogen werden. Der Bau des Hagener Krematoriums und der Kampf um die Zulassung sorgten im In- und Ausland für ein erhebliches Presseecho. Der verweigerten baupolizeilichen Genehmigung zur Einäscherung von Leichnamen versuchte man auch auf juristischem Wege zu begegnen - die in mehreren Instanzen bis zum Oberverwaltungsgericht durchgeführten Klagen blieben jedoch erfolglos. Das Oberverwaltungsgericht argumentierte, dass eine Genehmigung zur Einäscherung erst möglich sei, wenn die Feuerbestattung in Preußen landeseinheitlich geregelt sei. Auch eine Petition führte zu keinem raschen Ergebnis. Erst die im September 1911 erfolgte gesetzliche Regelung der Feuerbestattung in Preußen ermöglichte prinzipiell die Aufnahme des Betriebs.

Allerdings schrieb das Gesetz für Preußen vor, dass nur Kommunen bzw. Kommunenverbände oder andere Körperschaften des öffentlichen Rechtes Krematorien betreiben dürfen. Dadurch wurde der Verein gezwungen, das Bauwerk in langwierigen Verhandlungen an die Stadt zu verkaufen. So konnte erst am 16. September 1912 die erste Einäscherung in diesem Krematorium stattfinden - zugleich die erste Einäscherung in Preußen.

Fritz Schumachers 1911 in Betrieb genommenes Krematorium Dresden-Tolkewitz stellte auf andere Art und Weise einen Versuch dar, einen der Feuerbestattung angemessenen eigenen Ausdruck zwischen Technik und Architektur zu finden. Äußerlich zeigt sich das Krematorium, das für den späteren Hamburger (Ober-) Baudirektor und Reformarchitekten Schumacher den ersten öffentlichen Auftrag bedeutete, als zwar monumentaler, jedoch in sich geschlossener Baukörper. Schumacher vermied grundsätzlich die zuvor in der Krematoriumsarchitektur üblichen, teilweise ausufernden historistischen Zitate. Der Schornstein, der ja zu den schwierigsten Problemen zählte, wird von der Baumasse geradezu aufgesogen. In seinen Erinnerungen meinte der Architekt über sein Dresdener Bauwerk, es sei ein "strenge[s] Gefüge aus Bedingungen des Ortes und des Zweckes" - und Schumachers Reformarchitektur wird im vierten Kapitel erneut zum Thema werden ... .

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