III. Zwischen Baumbestattung und Aschediamant:
Neue Bestattungskultur in der mobilen Gesellschaft

Ist auf diese Weise die Asche zum Symbol des pragmatischen Umgangs mit dem Tod geworden, so ist sie andererseits auch zur Grundlage fast aller Varianten der innovativen, bisweilen als „alternativ“ bezeichnenden Bestattungskultur in der Postmoderne geworden. Entscheidend ist die – im Vergleich zur Körper- (Erd-) Bestattung – hohe Mobilität der Asche, die flexible Beisetzungsmöglichkeiten erlaubt und der Bestattungskultur neue Räume eröffnet. Die Asche kann an fast jeden Bestattungs- und Erinnerungsort verbracht oder auch geteilt werden sowie verschiedene Bestattungs- und Erinnerungsorte generieren. Die Aschenbeisetzung hat sich damit als sepulkrales Signet der mobilen Gesellschaft erwiesen.

Thomas Klie hat die aktuelle Bestattungskultur in drei unterschiedliche Kategorien eingeteilt. [1] Diese modifizierend, kann unterschieden werden zwischen dem miniaturistisch-anonymisierenden Code (Beispiel: die bereits erläuterte anonyme Rasenbestattung), dem naturnah-ökologischen Code (Beispiel: Baumbestattung) und dem performativen Code (Beispiel: Aschediamant). Die derzeit bedeutendste Entwicklung zeigt sich mit der zweiten Kategorie und wird im Allgemeinen als Naturbestattung bezeichnet. Ihre bekannteste Variante ist die Baumbestattung im freien Wald, die unter ihren privatwirtschaftlichen Vermarktungsnamen „Friedwald“ und „Ruheforst“ geläufig geworden ist. [2] Allein die Friedwald GmbH betreibt seit der Eröffnung der ersten Anlage im Jahr 2001 derzeit über 40 Baumbestattungsanlagen mit insgesamt bisher rund 25 000 Beisetzungen. Dabei werden Bäume in bestehenden Wäldern genutzt, sie sind Grabstätte und Grabzeichen zugleich. Je nach Anbieter und lokalen Bedingungen ist es möglich, persönliche Erinnerungszeichen, zum Beispiel Namenstafeln, anzubringen. Im Übrigen ist die Bestattungsfläche im Wald als solche nicht auf den ersten Blick zu erkennen, da sie möglichst naturbelassen wirken soll.

Ein weiteres Beispiel für Naturbestattungen ist der Berg-Naturfriedhof „Ruheberg“ in Oberried (Schwarzwald). Eröffnet am 20. Oktober 2006, wurde die von der Kommune getragene landschaftliche Anlage im Frühjahr 2010 erweitert. Auf diesem Berg-Naturfriedhof mit seinem Mischwaldbestand können einzelne Urnengrabhaine oder so genannte Friedhaine erworben werden. Bei letzteren handelt es sich um Gruppen von 12 Urnengräbern um einen Baum, die beliebige soziale Gruppierungen (Vereine, Freundeskreise u.ä.).

Diese Varianten der Naturbestattungen schränken die bisher fast monopolartige Stellung der klassischen Friedhöfe für die Bestattungskultur ein. Damit wird die Sepulkralkultur von der „Exterritorialisierung moderner Gesellschaften“ erfasst (Helmut Willke). [3] Die Idee eines Begräbnisplatzes in der freien Landschaft verweist auf Natursehnsucht und ökologisches Bewusstsein. Zum Hintergrund für die wachsende Popularität schreibt Gerold Eppler: „Unbestreitbare Voraussetzung für den Zuspruch der Friedwälder ist ein besonderes Waldbewusstsein. Dieses Bewusstsein lässt sich als romantische Natursehnsucht beschreiben und ist überwiegend bei der Stadtbevölkerung anzutreffen … Der Bevölkerung der Städte … gilt der Wald mittlerweile als Synonym für Natur. Er ist für sie quasi die Gegenwelt zur technisierten, lärmenden, hektischen und schnellebigen Großstadt.“ [4]

Ein auf den klassischen Friedhof bezogenes Beispiel für den naturnah-ökologischen Code ist die 2010 eingeweihte „Wildblumenwiese“ auf dem Friedhof von Ahrensburg (Schleswig-Holstein). Sie dient in ihren Randbereichen als Aschenbeisetzungsanlage. Im Übrigen wird die Baumbestattung inzwischen unter verschiedenen Namen auch auf regulären Friedhöfen angeboten. Im Jahr 2006 wurde auf dem Hamburg-Ohlsdorfer Friedhof der so genannte „Ruhewald“ angelegt – eine rund zwei Hektar große verwilderte Fläche. In der Nähe von 80 markierten Bäumen können hier Aschenbeisetzungen stattfinden. Zum entsprechenden Beisetzungsbaum gehört eine in der Nähe aufgestellte pultartige Tafel, auf der die Art des Baumes und der Name der Beigesetzten verzeichnet sind.

Auch sonst werden Aschenbeisetzungsflächen auf Friedhöfen immer häufiger naturlandschaftlich gestaltet. Auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe wurden seit 2003 neuartige landschaftliche Bestattungsflächen vor allem für Aschenbeisetzungen geschaffen. Landschaftlicher Bezugspunkt der Anlage ist ein von Granitblöcken eingefasster Wasserfall, dem sich ein trocken gefallenes Bachbett als Symbol für das versiegende Leben anschließt. Daneben prägen Felssteine, geschwungene Wege, alter Baumbestand und Rasenflächen diese Beisetzungslandschaft. Den hier Bestatteten wird auf unterschiedlich gestalteten gemeinschaftlichen Erinnerungsmalen aus Stein und Holz – darunter ein mehrere Meter langer, bearbeiteter Eichenstamm – gedacht.

Auch sonst bahnt die die Aschenbeisetzung den Weg für neue sepulkrale Ausdrucksformen. Dies zeigen die seit 2000 auf dem Friedhof im saarländischen Riegelsberg sowie – seit 2008 – auf dem Hauptfriedhof Saarbrücken eingerichteten so genannten Urnenpyramiden. Sie enthalten Kammern für eine oder mehrere Urnen, die Kammertür verzeichnet Namen und Daten der Verstorbenen. Nach Ablauf der individuell zu wählenden Ruhefristen für die Kammer wird die Urne auf Dauer ins Pyramideninnere verbracht.

Zu den aktuellen Tendenzen der Urnenbeisetzung gehört die Renaissance der Kolumbarien. Diese in antiker Tradition stehende offene Beisetzung von Aschenurnen in Fächern beziehungsweise Nischen war in der Frühzeit der Feuerbestattung allgemein üblich. [5] Gegenwärtig werden Kolumbarien beispielsweise in alten Friedhofskapellen, aber auch in genutzten (St. Jakobi, Lübeck) oder nicht mehr genutzten Kirchen (z. B. Erfurt, Marl-Hüls) eingerichtet. [6] In der St.-Konrad-Kirche in Marl-Hüls werden die Urnen von einheitlich gestalteten Wandflächen aufgenommen. Im Anschluss an die 15jährige Ruhezeit wird die Asche in einem Sammelgrab innerhalb der Kirche beigesetzt. Der Urnenraum in der Kirche ist tagsüber geöffnet, um regelmäßiges Totengedenken zu ermöglichen.



Quellen

[1] Klie, Performanzen, 2008, S. 8. Bei Klie heißt der erste Code „anonymisierend-altruistischer“ Code, der zweite „naturreligiös-ökologischer“, der dritte Code „ästhetisch-performativer“. Aus semantischen Gründen und einer besseren Verständlichkeit wegen wurden die Begriffe hier geändert.
[2] Rüter, Friedwald, 2011; Assig, Waldesruh, 2007.
[3] Willke, Atopia, 2001.
[4] Eppler, Mythos, 2005, S. 7 – 11.
[5] Fischer, Geschichte, 2001, Kapitel 3.
[6] Sörries, Kirche, 2008, S. 26 – 28.