- 1. "Wasseraugen längs der Deichlinien"
- 2. Die "hydrografische Gesellschaft"
- 3. Wirtschaftliche Ressourcen
- 4. Soziale Hierarchie und politisch-rechtliche Autonomie
- 5. Eigensinn und regionale Mentalität
Norbert Fischer: Deich, Mentalität und regionale Gesellschaft in Kehdingen
1. "Wasseraugen längs der Deichlinien"
"Es sind die vielen helleuchtenden Wasseraugen aus der grünen Marsch längs der Deichlinien, jene stillen Weiher in Gestalt der vielen Kolke, Braken, Kuhlen oder Wehle, die diejenigen, die sie zu deuten vermögen, mehr sagen können, als je an geschriebenen Worten hat auf's Pergament gebracht werden können."1 Die Marschenlandschaft ist wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Wie kaum eine andere Gegend sind die Marschen in ihrer heutigen Form von den Menschen erst geschaffen und - obwohl eine eigentlich "menschenfeindliche" Umgebung - durch Wurten- und Deichbau, durch Küstenschutz und Entwässerung, bewohnbar und bewirtschaftbar gemacht worden. Gleichwohl sind sie bis heute extremen Natureinflüssen ausgesetzt, die auf der direkten Verbindung mit der offenen Nordsee und ihren Gezeiten beruhen - etwa den wiederkehrenden Sturmfluten, jenem für die Marschen so typischen Ereignis, das im Laufe der Jahrhundert zum Mythos geworden ist und die Identität der Küstengesellschaften geformt hat.2
Dies gilt auch für das Land Kehdingen, einem schmalen und kaum 40 km langen Landstrich zwischen Schwinge und Oste mit seiner Mischung aus See- und Flussmarschen. Hier hat sich in der jahrhundertelangen Auseinandersetzung mit dem Wasser eine spezifische regionale Gesellschaft und Mentalität entwickelt. Diese Auseinandersetzung hat ihr Symbol in der "personalisierten" Beziehung zum Deich gefunden. Diese besondere Beziehung zum Deich ist der Schlüssel zum Verständnis des regionalen "Eigensinnes" im Land Kehdingen und seiner Geschichte.3